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 Volksdichter

 

Volksdichter

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Aşık Veysel Şatıroğlu
 

Volksdichter

Aşık Veysel (1894 – 1973)

Leben

"Im Jahre Dreizehnhundertzehn (1310) kam ich auf diese Welt"

Veysel Şatıroğlu kam im Jahre 1894 im Dorf Sivrialan des Sivas Landkreises Şarkışla zur Welt. Die Geschichte, wie Veysel das Licht der Welt erblickte, ist eigentlich die Geschichte vieler Kinder, die in anatolischen Dörfern zur Welt kommen. Allerdings ist seine Art der Geburt für jene, die heute auf ein solches Ereignis blicken, und vor allem für Außenstehende sehr interessant, ja sogar außergewöhnlich.

Als seine Mutter Gülizar Ana auf die Ayıpınar- Weide in der Umgebung von Sivrialan ging, um Schafe zu melken, überkamen sie die Geburtswehen. Auf dieser Weide wurde Veysel auf die Welt gebracht. Die Nabelschnur wurde von ihr selbst durchgetrennt, sie wickelte ihr Neugeborenes in ein Tuch und kehrte zu Fuß wieder in ihr Dorf zurück.

Die Familie von Veysel wurde von der Dorfbevölkerung "Şatıroğulları" (Die von den Şatırs abstammen) genannt. Sein Vater Ahmet, mit dem Spitznamen "Karaca" (dunkel) war Bauer. Als Veysel zur Welt kam, wurde das Volk von Sivas von den Pocken gequält. Zwei Mädchen, die vor Veysel geboren wurden, mussten durch diese Krankheit ihr Leben lassen.

Als Veysel sieben Jahre wurde, also im Jahre 1901, brach in Sivas die Pockenkrankheit erneut aus. Auch er wurde von dieser Krankheit angegriffen. Er erzählt diese Tage folgenderweise: „Bevor ich von den Pocken befallen wurde, hatte mir meine Mutter einen schönen "entari" (langes, loses Gewand) genäht. Ich zog dieses Kleid an und ging zur, von mir sehr geliebten Frau Muhsine, um es ihr zu zeigen. Sie hat mich liebkost. An diesem Tag gab es sehr viel Schlamm. Als ich nach Hause zurückkehrte, rutschte ich aus und fiel hin. Ich konnte nicht mehr aufstehen. Ich hatte die Pocken erwischt.... Die Pocken waren heftig. Das linke Auge wurde stark betroffen, doch für das rechte Auge sollte es noch schlimmer werden, ich bekam den Star. Von dem Tag an bis heute verdunkelte sich die Welt.“

Nach diesem Fall kam in Veysels Kopf immer wieder eine Farbe zum Vorschein; Rot. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde seine Hand bei diesem Fall wund geschürft und blutete. Dies erzählt seine Frau Gülizar Ana folgendermaßen: „Es ist nicht unbekannt, von den Farben erinnert er sich nur an Rot. Bevor seine Augen erblindeten, also bevor er von den Pocken befallen wurde, ist er gefallen. Er sah Blut. Er konnte sich nur an die Farbe des Blutes erinnern. Rot.... Grün hat er mit den Händen erfahren und liebkost.“

Für das rechte Auge gab es eine Chance zu sehen. Zu dem Zeitpunkt konnte er noch Licht unterscheiden. In der Nähe des Dorfes, in Akdağmadeni, gab es einen Doktor. Man sagte seinem Vater „Bring dein Kind nach Akdağmadeni, dort gibt es einen Doktor, der ihm wieder die Augen öffnen kann.“ Sein Vater freute sich.

Allerdings wurde Veysel vom Unglück nicht losgelassen. „Als er eines Tages die Kühe molk, trat sein Vater zu ihm. Als sich Veysel plötzlich umdrehte, fuhr die Spitze eines Stockes, den sein Vater in der Hand hielt, in sein anderes Auge. Somit ging auch dieses Auge verloren.“

Veysel hatte einen älteren Bruder namens Ali und eine Schwester namens Elif. Die gesamte Familie hatte diesen Umstand sehr bedauert und weinte tagelang. Veysel begann dann an der Hand seiner Schwester spazieren zu gehen. Aber Veysel verschloss sich zunehmend. In dem Gebiet Emleg, in der Umgebung von Sivas, gab es viele Âşık- Dichter / Volkslieddichter. Auch Veysels Vater interessierte sich sehr für diese Gedichte und war der Tekke- Dichtung sehr zugetan. Er gab Veysel ein Saz, mit dem Gedanken, dass diese Beschäftigung seinen Schmerz etwas lindern würde. Er versuchte seinen Sohn zu trösten, indem er die Gedichte der Volkslieddichter vorlas und sie ihn auswendig lernen lies. Auβerdem kamen von Zeit zu Zeit die örtlichen Volkslieddichter in das Haus seines Vaters Ahmet Şatıroğlu und trugen ihre Gedichte vor. Veysel horchte mit großer Neugierde zu. Der Nachbar Molla Hüseyin pflegte die Saz und ersetzte gerissene Saiten durch neue.

Seinen ersten Unterricht bekam er von einem Freund seines Vaters, den aus dem Dorf Divriği stammenden Çamışıhlı Ali Ağa (Âşık Ala). Er selbst übte sich geduldig auf der Saz. Er begann die Gedichte von Meisterdichtern nachzusingen. Vor allem Çamışıhlı Ali macht Veysel mit der Welt der Volkslieddichter bekannt, die seine dunkle Welt erleuchteten. So lernt Veysel die Welt der Volkslieddichter wie Pir Sultan Abdal, Karaoğlan, Dertli und Rühsati kennen.
"In Âşık Veysels Leben kam es zur zweiten bedeutenden Veränderung. Sein Bruder Ali ging in den Krieg, der kleine Veysel blieb mit seiner, mit gerissenen Saiten versehenen Saz, allein. Nach dem Ausbruch des Krieges schlossen sich alle Freunde und Altersgenossen Veysels dem Krieg an. Auch dies war Veysel versagt...

So öffnete sich für seine zurückgezogene Seele eine weitere Einsamkeit. Der Schmerz, ohne Freunde zu sein, sein Elend machte ihn sehr hoffnungslos, pessimistisch und traurig. Er verbrachte sein Dasein damit, unter dem Birnenbaum des kleinen Gartens zu liegen, in den Nächten auf den Baum zu klettern und dort seine Trauer mit dem Himmel und der Finsternis zu teilen.“
 
Diese Tage erzählt Aşık Veysel Enver Gökçe folgendermaßen:

"Ich betrete das Haus, mein Gesichtsausdruck ist mürrisch: Meine Mutter und mein Vater wissen über meinen Zustand nicht bescheid. Ich kann ihnen meine Trauer nicht erklären, in der Angst, sie zu verletzen. Sie glauben, dass ich aufsässig sei, ich drückte mich nur davor, meine Probleme zu erzählen, und zwar so, dass ich sogar der Saz überdrüssig wurde.“

Wenn darin auch etwas der Einfluss des Männlichkeitsbildes in Anatolien zu spüren ist, so ist es doch mehr Veysels Vaterlandsliebe, sein Gefühl, seine Schuld dem Vaterland zurückzuzahlen, das hier zum Ausdruck kommt. Später drückt er es in seinen Versen wie folgt aus:

"Wie schade, das Schicksal war nicht auf meiner Seite
Als das Volk den Feind in das Meer zurückwarf
Das Schicksal brach mir den Arm, gab mir keinen Dienst
Um dem Feind mit dem Schwert auf den Kopf zu schlagen.
Wenn es mir in diesen Tagen vergönnt gewesen wäre
Ich hätte nicht um einen Löffel Blut ersucht
Das vorherbestimmte Schicksal käme nicht zum Vorschein
Was ist diesem Veysel nicht alles zugestoßen."

Veysels Mutter und Vater verheiraten Veysel gegen Ende der Mobilisierung mit dem Gedanken „Vielleicht sterben wir und sein Bruder kann nicht auf Veysel schauen“ mit einem verwandten Mädchen namens Esma. Esma schenkt Veysel eine Tochter und einen Sohn. Sein Sohn stirbt bereits mit 10 Tagen, die Brustwarze der Mutter im Mund.... Die Schicksalsschläge Veysels enden nicht. Widrigkeiten und Pech folgen aufeinander. Am 24. Februar des Jahres 1921 stirbt seine Mutter, sein Vater 18 Monate später. Zu dieser Zeit beschäftigt er sich mit Gemüsegärten. In das Dorf kommen viele Âşık- Dichter, angefangen von Karacaoğlan, Emrah, bis zu Âşık Sıtkı, Âşık Veli, sie spielen mit ihrer Saz und tragen ihre Verse vor. Veysel bleibt dieser Musik in den Dorfzimmern nicht fern.

Als sein großer Bruder noch eine Tochter bekommt, nehmen sie einen Diener in ihren Dienst auf, um auf die Kinder aufzupassen und einigen Arbeiten nachzugehen. Dieser Diener ist später für einen weiteren Schicksalsschlag Veysels verantwortlich. Als Veysel eines Tages krank niederlegt und sein Bruder Ali Melisse sammelte, entführt dieser Diener Esma, Veysels erste Frau. Somit wurde Veysel in seinem geprüften Leben ein weiterer Schmerz zugefügt.
Als seine Frau ihn mit dieser Flucht verließ, hinterließ sie ein gerade sechste Monate altes Mädchen. Zwei Jahre trug er dieses Mädchen auf seinem Schoß, denn es blieb ihm nichts anderes übrig.
 
So schrieb er auch in einem seiner Gedichte:

"Das Schicksal ist gleichzusetzen dem Leid
Wo immer ich auch hingehe, es folgt mir hinterher."
Kurz gesagt, eine Kette tausender Schmerzen.

Er befindet sich nach all diesem in einem psychischen Zustand, in dem er nur mehr wünscht, zu fliehen, sich von dieser Welt zu entfernen. Im Jahre 1928 beschließt er gemeinsam mit seinem besten Freund Ibrahim nach Adana zu gehen. Allerdings kann Deli Süleyman, ein im Sivaser Dorf Karaçayır lebender
Âşık- Dichter, ihn von dieser Reise zurückhalten. Horchen wir Veysel zu:

"Dieser Mann horcht mir zu, wenn ich die Saz spiele, er unterbricht mich, wenn ich spreche. Ich gehe, sage ich, doch mit seinen Worten ‚Ah Freund, die Kinder werden bitterlich weinen, komm, geh doch nicht’, bindet er mir Hände und Füße. Endlich halte ich es nicht mehr aus, ich gehe nicht und damit basta. Und so gab ich diese Reise auf."

Veysels erstes Verlassen seines Dorfes: Ein Mann namens Kasım aus dem Dorf Barzan Baleni bei Zara bringt Veysel in sein Dorf und beide leben dort drei Monate gemeinsam unter einem Dach. Deli Süleyman, der ihn nicht nach Adana gehen ließ, und der Sivaser Kalaycı Hüseyin begleiten ihn. Auf dem Rückweg besucht Veysel die Dörfer Yalıncak bei Hafik und Girit bei Zara und ersteht für 9 Lira eine schöne Saz. Auf dem Weg von Sivas nach Sivrialan werden die Freunde von Bauernfängern betrogen und verlieren ihr gesamtes Geld. Auch die 9 Lira von Veysel werden eingesetzt und im Spiel verloren. Einige Zeit nach diesem Vorkommnis heiratet Veysel eine Frau namens Gülizar aus dem Dorf Karayaprak bei Hafik.

Im Jahre 1931 gründet Ahmet Kutsi Tecer, Literaturlehrer des Sivas Gymnasiums, gemeinsam mit seinen Freunden den "Verein zum Schutz der Volkslieddichter" Und am 5. Dezember 1931 veranstalten sie ein drei Tage währendes Fest der Volksdichter. Damit begann auch ein wichtiger Wendepunkt in Veysels Leben. Man kann durchaus sagen, dass die Bekanntschaft Veysels mit A. Kutsi Tecer seinem Leben einen neuen Anfang gegeben hat.
Bis zum Jahre 1933 singt er die Lieder und Verse von Meistern der Volkslieddichtung nach. Zum 10. Jahrestag der Republik verfassten alle Volkslieddichter unter der Anweisung von A. Kutsi Tecer über die Republik und Gazi Musfafa Kemal Verse. Darunter befand sich auch Veysel. Das erste eigenständige Gedicht Veysels beginnt mit der Zeile „Es war Atatürk, der die Türkei wieder auferstehen ließ...“. (Atatürk’tür Türkiye’nin ihyası...). Dieses Erscheinen des Gedichtes bedeutete auch gleichzeitig Veysels Verlassen seiner dörflichen Grenzen.

Dieses Heldenlied Veysels fand großes Gefallen bei Ali Rıza Bey, dem Kreisvorsteher von Ağacakışla, in dessen Zuständigkeit auch Sivrialan gehörte. „Lass es uns nach Ankara schicken“, wünscht sich Ali Rıza Bey. „Ich gehe selbst zum ‚Ata’ (Vater; Atatürk)“ antwortet Veysel und macht sich gemeinsam mit seinem loyalen Freund Ibrahim zu Fuß auf den Weg. Diese zwei reinen Seelen, im tiefsten Winter barfuss und ohne Kopfbedeckung, erreichten nach mühevollen drei Monaten Ankara. In Ankara wurde Veysel von gastfreundlichen Bekannten als Gast aufgenommen und blieb in deren Haus 45 Tage. Auch wenn er leidenschaftlich davon spricht, dieses Heldenlied Atatürk vorzutragen, so ermöglichte es ihm sein Schicksal nicht. Seine Frau Gülizar Ana: „Erstens, er konnte nicht zum Vater (Atatürk) gehen; zweitens, er nahm nicht am Krieg teil; er klagte, war dies alles nur möglich...“. Allerdings wird das Heldenlied der Druckerei der Zeitung Hakimiyet-i Milliye übergeben und drei Tage hindurch erscheint es in der Zeitung. Danach wurde dieses Heldenlied Veysels im ganzen Land herumgereicht, wo es bekannt wurde, vorgesungen, geliebt und geehrt.

Diese Tage berichtet er folgendermaßen: „Wir haben das Dorf verlassen. Zu Fuß passierten wir die Dörfer von Yozgat und Çorum- Çankırı, innerhalb von drei Monaten erreichten wir Ankara. Wir hatten kein Geld, um uns ein Hotel zu nehmen. ‚Wohin gehen wir, was sollen wir machen?’ Dann wurde uns gesagt: ‚Hier gibt es einen Paşa Dayı (Anrede für einen alten Pascha) aus Erzurum. Dieser Mann ist sehr gastfreundlich.’ Dieser Paşa Dayı hatte ein Haus in dem damaligen Stadtteil Dağardı (heute: Atıf Bey Mahallesi). Wir gingen zu ihm und tatsächlich hat dieser gute Mann uns als Gäste willkommen geheißen. Wir blieben einige Tage. Damals gab es in Ankara noch keine Fahrzeuge, alles wurde mit dem Pferdewagen ausgeführt. Wir lernten einen Mann namens Hasan Efendi kennen, der einen solchen Pferdewagen besaß. Dieser hat uns zu sich nach Hause gebracht. 45 Tage blieben wir in Hasan Efendis Haus. Wir kommen und gehen, dieser Mann hat uns alles, vom Essen bis zum Bett, zur Verfügung gestellt. Ich sagte: ‚Hasan Efendi, wir sind nicht hierher gekommen, um spazieren zu fahren. Wir haben ein Heldenlied geschrieben. Dieses möchten wir Gazi Mustafa Kemal zu Gehör bringen. Wie sollen wir dies machen?’ Er antwortete: ‚Also wirklich, ich bin nicht der richtige Mann für solche Arbeiten. Aber es gibt hier einen Abgeordneten namens Mustafa Bey, seinen Nachnamen habe ich vergessen. Wir müssen dies diesem Mann mitteilen. Vielleicht kann er euch helfen.’

Und so gingen wir zu Mustafa Bey und erzählten ihm von unserem Anliegen. Wir haben ein Heldenepos geschrieben und möchten es Gazi Mustafa Kemal zu Gehör bringen. ‚Hilf uns!’ forderten wir ihn auf.

Er antwortete: ‚Ach, nicht doch! In dieser Zeit gibt es niemanden, der Gedichten und solchen Sachen Wert beimisst. Singt es an irgendeiner Ecke. Vergesst es und geht!’

'Nein, so nicht’, sagten wir. ‚Wir werden dieses Heldenlied Mustafa Kemal vortragen!'

Der Abgeordnete Mustafa Bey sprach daraufhin, ‚Also gut, singt mal vor, so dass wir es hören.’ Und wir trugen es vor, er horchte zu. Er sagte, dass er mit der in Ankara herausgegebenen Zeitung Hakimiyet-i Milliye sprechen werde und rief uns am nächsten Tag wieder zu sich. Wir kamen, doch er sagte, 'Es geht mich nichts an.’ Dann brach er das Gespräch ab. Wir kamen von ihm zurück und überlegten, was wir unternehmen sollten. Letztendlich entschieden wir uns dafür, selbst in die Druckerei der Zeitung zu gehen. Der çarşı (Markt) auf dem Hauptplatz von Ulus (früheres Zentrum von Ankara) wurde damals Karaoğlan Çarşı genannt. Dorthin gingen wir, um Saiten für die Saz zu kaufen.
 
An den Füßen trugen wir ‚çarık’ (grobe Bauernschuhe aus ungegerbtem Leder), an den Beinen einen şal- şalvar (weite Pluderhose aus Kaschmirstoff), eine Kaschmirjacke und um die Hüften einen großen ‚kuşak’ (Leibgurt)! Da kam die Polizei auf uns zu: ‚Halt. Es ist verboten in den Çarşı zu gehen!’ Sie wollten es uns nicht erlauben, im Çarşı Saiten für die Saz zu kaufen.

Die Polizei bestand weiter: ‚Verboten, sagen wir. Versteht ihr nicht, was ein Verbot ist? Es herrscht ein großer Menschenauflauf. Geht nicht in die Masse!’
Wir antworteten, dass wir draußen bleiben würden, allerdings gingen wir weiter unseres Weges. Der Polizist kam wieder auf uns zu und drohte Ibrahim: ‚Seid ihr unbewaffnet? Ich sage euch, dass ihr hier bleiben sollt! Ich werde deinen Kopf zerschlagen!’

Wir sagten, ‚Geehrter Herr, wir möchten uns nicht ausruhen. Wir möchten nur eine Saz- Saite im Çarşı kaufen!’ Der Polizist wies daraufhin Ibrahim an, die Saite zu kaufen, und mich irgendwo hinzusetzen. So konnte Ibrahim die Saite kaufen, die wir sofort an der Saz befestigten. Morgens konnten wir wieder nicht den Çarşı überqueren, doch letztendlich fanden wir die Druckerei.

'Was wollt ihr?’ fragte der Direktor.
'Wir haben ein Heldenlied geschrieben und möchten es der Zeitung überreichen.’, antworteten wir.
'Dann spielt mal, damit ich es höre!’, forderte er uns auf.
Wir spielten und er horchte uns aufmerksam zu.
'Ah! Sehr schön, es ist wunderschön!’ rief er aus.

Und es wurde in der Zeitung gedruckt.‚ Morgen wird es erscheinen. Kommt dann und holt euch die Ausgabe.’, wurde uns gesagt. Sie gaben uns auch etwas Geld als Urheberrecht. Am Morgen holten wir uns 5-6 Zeitungen. Wieder mussten wir über den Çarşı gehen.

Die Polizei: ‚Oh! Sind Sie Âşık Veysel? Machen Sie es sich gemütlich! Gehen Sie in ein Kaffee, setzen Sie sich!’ Es begann eine Zuwendung, fragen Sie nicht. Im Çarşı sind wir geraume Zeit spaziert. Allerdings hörten wir von Mustafa Kemal nichts. Wir sagten uns, ‚Daraus wird wohl nichts werden.’ Aber die Zeitung Hakimiyet-i Milliye veröffentlichte mein Heldenlied drei Tage hintereinander. Trotzdem hörten wir von Mustafa Kemal nichts. Wir entschieden, ins Dorf zurückzukehren. Allerdings hatten wir nicht mal Geld für die Rückreise. In Ankara hatten wir einen Rechtsanwalt kennen gelernt.
Dieser Rechtsanwalt sagte, ‚Ich werde an den Bürgermeister einen Brief schreiben. Die Gemeinde wird Sie gratis in Ihr Dorf zurückbringen!’ Und er überreichte uns einen Brief mit dem wir zum Gemeindeamt gingen. Dort sagte man uns: ‚Sie sind Künstler. Gehen Sie doch, wie Sie gekommen sind!’
Wiederum haben wir den Rechtsanwalt aufgesucht, der uns fragte, was wir gemacht hätten. Wir erzählten ihm unsere Geschichte. ‚Wartet, wir schreiben auch an den Gouverneur.’, sagte er und setzte ein Ansuchen an den Gouverneur auf. Der Gouverneur unterschrieb dieses Ansuchen und schickte uns wiederum zur Gemeinde. Doch die Gemeinde antwortete uns: ‚Nein! Wir haben kein Geld! Wir können Sie nicht zurückschicken!’.
Der Rechtsanwalt wurde ärgerlich und fluchte: ‚Verschwindet! Kehrt zu Eurer Arbeit zurück! Die Gemeinde Ankara hat für Euch kein Geld. Es ist verbraucht!’ Ich habe den Rechtsanwalt bedauert.

Während wir überlegten, was wir machen sollten und wie wir es anstellen sollten, fiel uns ein, dass wir doch auch beim ‚Halkevi’ (Volkshaus; Einrichtung der Republikanischen Volkspartei zur Hebung der Volksbildung und Verbreitung des Kemalismus) vorbeischauen sollten. Vielleicht würde dort etwas für uns herausschauen. Wir konnten nicht zu Mustafa Kemal vordringen, so wollten wir doch zum Halkevi gehen. Dieses Mal ließen uns die Türsteher des Halkevi nicht hinein. Wir blieben dort wie angewurzelt stehen.

Ein Mann kam heraus und fragte: ‚Was steht ihr hier herum, was treibt ihr?’
Wir antworteten: ‚Wir möchten in das Halkevi gehen, aber man erlaubt es uns nicht.’
Daraufhin sagte er: ‚Lasst diese Männer in Ruhe! Das sind bekannte Männer. Das ist doch Âşık Veysel!’
Dieser Mann schickte uns zum Direktor der Literaturabteilung. Dort begrüßte man uns: ‚Ah! Kommen Sie nur herein, kommen Sie nur herein!’ Im Halkevi befanden sich auch einige Abgeordnete. Der Direktor der Literaturabteilung rief diese herbei: ‚Kommt, es sind Volkslieddichter hier! Kommt und horcht zu!’
Necib Ali Bey, einer der ehemaligen Abgeordneten: ‚Holla, das sind aber arme Männer. Die schauen wir uns mal an. Denen müssen wir auch Anzüge machen lassen. Sie sollen doch am Sonntag im Halkevi ein Konzert geben!’

Tatsächlich kauften sie uns je einen Anzug. Und wir gaben an diesem Sonntag im Halkevi Ankara ein Konzert. Nach dem Konzert steckten sie auch Geld in unsere Taschen. So konnten wir mit diesem Geld von Ankara in unser Dorf zurückkehren.

Sein erstes ‚türkü’ (türkisches Volkslied), das er auf Platte sang, war ein Lied des bekannten Dichters Âşık Izzeti aus dem Gebiet Emlek:
 
"Ich bin Mecnun*, habe ich Leyla gesehen
Nur ein einziges Mal schaute sie und ging vorbei.
Weder sie sagte etwas, noch fragte ich
Sie verzog die Augenbrauen und ging vorbei
Ich stellte nicht mal ein paar Fragen
War ihr Gesicht wie der Mond oder wie die Sonne
Mir erschien es wie der Morgenstern
Das Licht blendete mich, als sie vorbeiging.
Ich hielt es nicht aus in diesem Feuer
Dieses Mysterium konnte ich nicht lösen
Ich sah die Morgendämmerung nicht
Wie eine Sternschnuppe so schnell war sie vorbei.
Ich weiß nicht welches Sternzeichen
Diesen unseren Schmerz mildert
Lies manche dieser schmachtenden Blicke
Der Liebesschmerz schlug ein in die Brust, sie ging vorbei.
Izzeti, wie geheimnisvoll ist es
Im Schlaf sah ich einen Traum
Die Locken, wie eine Schlinge haben sie mich gefangen
Der Liebesschmerz hängt um meinen Hals, sie ging vorbei."

* Mecnun ve Leyla (Liebesgeschichte von Mecnun und Leyla, alt. türkische Volkserzählung)

Mit der Gründung der "Köy Enstitüler" (Dorfinstitute mit spez. Bildungsaufgaben) wurde er wiederum mit Hilfe von Ahmet Kutsi Tecer Saz- Lehrer in verschiedenen Dorfinstituten, und zwar der Reihe nach in Arifiye, Hasanoğlan, Çifteler, Kastamonu, Yıldızeli und Akpınar. Auf diesen Schulen findet er die Gelegenheit, mit vielen intellektuellen Künstlern, die der türkischen Kultur ihren Stempel aufgedrückt haben, bekannt zu werden. Dabei entwickelt sich sein Gedichtstil immer mehr.

Im Jahre 1965 wurde Âşık Veysel von der Großen Türkischen Nationalversammlung insofern ausgezeichnet, als er mittels eines besonderen Gesetzes ein monatliches Einkommen vom Staat in der Höhe von 500 Lira für seine „Herausragenden Dienste an der türkischen Muttersprache und der nationalen Vereinigung“ zugesprochen bekam.

Am 21. März 1973, gegen 3.30 Uhr morgens, schloss er in seinem Haus in dem Dorf Sivrialan für immer seine Augen. Dieses Haus wurde ihm zu Ehren in ein Museum umgewandelt.

Wenn man Âşık Veysels Leben kurz zusammenfassen will, so finden wir die schönste Beschreibung dafür in den Sätzen von Erdoğan Alkan:
"Der Fluss Kızılırmak gleicht einem Fragezeichen. Er entspringt bei Zara und nach Hafik und Şarkışla verlässt er die Erde Sivas. Im Lauf eines Bogens bewässert er Kayseri, Nevşehir, Kırşehir, Ankara und Çorum, im Landkreis Bafra bei Samsun fließt er ins Meer. Die Lebensgeschichte Âşık Veysels ist wie der Fluss Kızılırmak; Ein Ende bei Bafra, das andere bei Zara. Ein Leben voller Schmerzen, das bis nach Bafra reicht, genährt wird durch das reiche Wasser des Berges Kızıldağ östlich von Zara, und dort zuneige geht."

Seine Kunst

Weltansicht

Die Weltansicht des dörflichen - ländlichen Lebens, in dem das Schicksal bestimmend ist, blieb auch bei Âşık Veysel vorherrschend. Nicht zuletzt blieb er unter dem Einfluss der Dorf- und Kleinstadtkultur, in der er lebte und unter dem Nichtvorhandensein einer Bildungsmöglichkeit. Wenn man dies so sagt, so sollte man auch seinen psychischen Zustand, in dem er sich zeitlebens befand, berücksichtigen. Ohne Zweifel kommt man nicht umhin zu sehen, wie ihn seine schweren Schicksalsschläge in der Kindheit und Jugend beeinflussten, seine Lebensansicht veränderte und ihn in Enttäuschungen stießen.
Natürlich wird auch die Weltanschauung eines Künstlers von seiner sozialen Umgebung, in der er sich befindet, bestimmt; Konkreter gesagt, sie wird auch durch die materiellen Lebensbedingungen bestimmt. Die soziale Umgebung, in der Âşık Veysel lebte und die von der Dorf- und Kleinstadtkultur geprägt war, wirtschaftlich auf die Landwirtschaft gestützt war, in der die landwirtschaftliche Produktionsweise und nicht der Kapitalismus herrschte, keine Industrialisierung ... Und wenn man bedenkt, das parallel zu dieser ökonomischen Struktur die Einflussfaktoren wie Bildung - Ausbildung auf sehr niedrigem Niveau waren, die wirtschaftliche Angeschlagenheit einer Gesellschaft, die gerade aus einem Krieg hervorging, hinzufügend, die von Pocken hingerichtete Menschengeographie beachtet, so ist die soziale Umgebung, die Veysel geformt hat, sehr leicht zu verstehen. Bedenkt man zusätzlich die Realität, in der diese gesellschaftliche - soziale Umgebung weit von der schriftlichen Kultur entfernt war, sich ihr gesamtes literarisches - künstlerisches Erbe aus der mündlichen Überlieferung nährte, so ist es umso leichter den Künstlertyp unter diesen Bedingungen zu verstehen. Fügen wir dieser sozialen Umgebung obendrein noch eine physische Behinderung, wie der Verlust eines Organs wie das Auge, hinzu, so kann Veysel noch leichter verstanden werden, seine Gedichte noch leichter zugeordnet werden.

Die Blindheit seiner Augen hat ihn in seiner Ganzheit beeinflusst:
 
"Wärst du auch ein Vogel, so hättest du meinen Händen nicht entfliehen können
wenn ich hätte sehen können, dich mit meinen Augen“

Mit diesen Worten kann man leicht verstehen, wie tief seine Sehnsucht war.

Adnan Binyazar betont, dass dieses Fehlen der Sehkraft Veysels, in seiner Interpretation der Halbverse das Salz im Honig war.

Tatsächlich suchte Âşık Veysel häufig den Schuldigen des Negativen im Schicksal. Auf der anderen Seite nahm er aber auch positive Eigenschaften, die das Leben bringt, wie zum Beispiel Schulen, Fabriken, Krankenhäuser in seinen Gedichten auf. In dieser Hinsicht darf seine Anlehnung an das Schicksal, der Fatalismus im Gegensatz zur Wissenschaft, nicht blindlings als fixe Idee aufgefasst werden.

"Die Welt hat sich verändert so wie die Situation
Manche fahren zum Mond, manche ins Paradies"

In diesem Vers sieht man, dass er nicht nur vor wissenschaftlichen Entwicklungen seine Ohren verschlossen hat, sondern Vergleiche anstellte und eine ernsthafte Perspektive entwickelte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, verwendet er die Begriffe "ay" (Mond) und "cennet" (Paradies) gleichzeitig für zwei unterschiedliche Glaubensauffassungen.

In einem anderen Gedicht:

Den reichsten Verstand der Welt sah ich
Ich fragte nach seinem Verstand, sagte die Schule.
Den Menschen Dienste und Hilfestellungen leisten,
Barmherzigkeitsgefühl, sagte die Schule.
Die schönste Kunst, die aus Wasser Feuer macht
Damit die Welt mit diesem Licht Schicht für Schicht bedeckt wird
Geschah diese Erschaffung mit Gedanken
Sie wurde mein Wegweiser, sagte die Schule.
Ist das eine Wundertat oder Begabung
Auch wenn das Auge nicht sieht, fasst die Seele wieder Mut
Auf einem verwaisten Feld dreht ein vom Weg Abgekommener wieder um
Er lässt einen Motor anbauen, ernten, sagte die Schule.
Er steckt Flügel an, damit du am Himmel fliegst
Er lässt dich das Meer mit Leichtigkeit überqueren
Wie erkennst du die Kälte, den Regen
Eine Wetterwarte wurde eingerichtet, sagte die Schule.
Verschiedene Transportmittel und noch die Züge
Arzt wird jener, der die Wunden versorgt
Hast du das gemacht oder die Heiligen
Du wirst staunen, was noch alles gemacht wird, sagte die Schule.
Das Radio hat mich in Verwunderung versetzt
Es kennt jede Sprache nicht jedoch Glas
Der wissenschaftliche Verstand hat dies geschaffen
Seine Lampen, seine Wellen, sagte die Schule.
Die Köpfe der Menschen sind es, die dies finden
Es ist die Wissenschaft, die die Wirklichkeit der Welt ist
Die das Fundament meiner ganzen Tätigkeiten darstellt,
Glaube mir Veysel, sagte die Schule.

Dieses Gedicht und andere ähnliche Beispiele zeigen, dass die auβerweltlichen Begriffe Âşık Veysels wie Gott und Schicksal für ihn nicht die einzige Lösung darstellen. In dieser Hinsicht kann man bei ihm keine Starrheit erkennen. Er ist beweglich, tolerant.

Auch wenn ihn manchmal das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und des Nichts überkam, so umarmte er doch das Leben mit vollen Händen. Er versuchte ständig das Leben zu verstehen und ihm einen Sinn zu geben. Außerdem ist der Begriff des Jenseits bei ihm nicht stark ausgeprägt.
Auf die Frage, ob Âşık Veysel eine bestimmte Philosophie verfolgte, antwortete Ruhi Su: „Wenn Sie mit dem Wort Philosophie meinen, ob Veysel eine Lebensauffassung hatte, die er sich zu eigen gemacht und innerhalb der Gesellschaft vertreten oder empfohlen hat, dann ja, diese hatte er. Wie alle gutmütigen, wohlwollenden Menschen, so empfahl er eine Beschäftigung. Je nach dem wo er sprach, so kam es auch vor, dass er riet, den Traditionen verbunden zu bleiben. Sein Glaube war ein Glaube, der sich auf Liebe, Toleranz und die Kraft der menschlichen Schöpfungskraft stützte. Aber wenn er gefragt wurde, was er über die gesellschaftliche Entwicklung denke, so war er auch so klug zu spüren, was man hören wollte.“
Eine Besonderheit Veysels war auch folgende: Das nicht aushalten des Druckes des religiösen Formalismus, der Versuch diesen zu durchbrechen, der Versuch mit Gott eng vertraut zu sein. Richtiger noch, seine Verbundenheit mit der Bektaşi- Tradition...

Wie in seinem Gedicht an Gott:


"Das Universum hast du geschaffen
Alles hast du aus dem Nichts ins Dasein gerufen
Nackt hast du mich hinaus geworfen
Deine Freigebigkeit, wo ist sie."

Nejat Birdoğan interpretiert:

 „In manchen Gedichten finden wir Veysels Gedanken voller Enthusiasmus, als Volksdichter jedoch noch unzureichend. Eigentlich sehen wir in diesen Gedichten im Vergleich zu dem späteren Veysel ihn mehr als Erzieher der Gesellschaft und weniger als Volkslieddichter. In diesen Werken sieht Veysel das Gedicht als Mittel zur Unterstützung des Schutzes der Republik und als Hilfestellung zur nationalen Einheit. In seinem Verhalten zeigt sich dies auch. Was seine Gedanken betrifft, so kann man einen sauberen, redlichen Mann beobachten, der sehr fleißig ist und besonderen Bedacht darauf legt, sich richtigen Feststellungen, Beobachtungen zu zuwenden. Das er die Kaplan Deresi Brücke, die über den Kızılırmak führt, dadurch errichtet hat, indem er von Dorf zu Dorf wanderte und Geld sammelte, ist ein Zeichen der Übernahme dieser Verantwortung und seines Charakters.

Unserer Meinung nach, so sind die ausgereiften Gedichte Veysels jene, die die Menschlichkeit und den Menschen als solchen zum Thema haben. In diesen Versen erzählt Veysel vom Ursprung des Menschen, von seiner Verkörperung, von der Notwendigkeit, wie der Mensch in dieser Periode der Verkörperung arbeiten muss, wie er sich verhalten muss und wie er am Ende des Weges wieder zum Ursprung zurückkehrt. Mit einer anderen Definition, in diesen Versen gab es den Mystik-Dichter Veysel. Seinen Glauben, dem er sich verbunden fühlte, den er sich in diesem einsamen anatolischen Dorf aneignete, hat Veysel durch intuitive Erkenntnis entwickelt. Veysel hat das große Geheimnis des Alewitentums mit seinem Herzen verstanden.“
 
Veysel, der dem Aberglauben und unzeitgemäßem Verhalten gegenüber negativ eingestellt war, war diesem Thema gegenüber ziemlich einfühlsam.
"Die Periode ist die Republik, das Jahrhundert 20
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Die Welt ist im Aufbruch, sie geht zum Mond
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Lass die gelben Ochsen, lass es sein, lass es sich entwickeln
Errichte keine Mauer vor den Augen, jeder soll aufwachen
An jeder Ecke soll eine Fabrik gebaut werden
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Halte keinen Reisenden zurück
Achte die Ameisen und Bienen*
Wenn du so weitermachst erreichst du nicht Huri (Jungfrau im Paradies)
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
(*isl. Mystik: wenn du Ameisen - also irgendwelche Kreaturen - verletzt, so kannst du das Paradies nicht erreichen)
Es wird dir kein Schaden zugefügt, flüchte nicht vor der Saz
Die Angst der Sünde kommt nicht von uns (Anm.: den Volkslieddichtern)
Ich sage nicht, dass du den namaz (Gebetsübung) aufgeben sollst
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Unterstütze die Armen, unterrichte die Waisenkinder
Sind diese Wohltaten in unserem Glauben schlecht
Nimm das Wasserstoffatom wahr
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Die Wassermengen des Regens
Gemessen, festgelegt, sind es Meter oder Quadrat
Schläfst du viel, lässt du meine Wunde größer werden
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
In den Himmel fliegen so viele Raketen
Sind all das nicht Lehren für uns
Man will die Geheimnisse des Mondes lösen
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Die Existenz Gottes ist vorhanden im Menschen
Die Wissenschaft liegt im Gedanken, das Vermögen bei dir
Lass das Schiff fahren, sitze am Steuer
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Du hast keine Ahnung, pflanz einige Pappeln
Jemanden der ohne Aufgabe herumläuft, nennt man Vagabund
Schließ nicht deine Augen, schau in die Welt
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann.
Veysel, was bleibst du stehen, ein jeder geht
Die Zeit bleibt nicht stehen, die Zeit sagt, pass dich an
Die Wissenschaft bringt viele Wunder hervor
Wach auf aus deiner Schläfrigkeit, schlaf nicht Landsmann."

"Sogar dieses Gedicht alleine erleuchtet das, was ich oben über ihn herausgestrichen habe. Wie man sieht, kritisiert er die Werturteile der Gesellschaft durch das Geben von Beispielen aus der konkreten Realität des Lebens. Hier ergreift er Partei. Er stellt sich auf die Seite der Wissenschaft, des Intellektualismus, des Fortschrittes, der konkreten Wirklichkeit. Mit dem Ausdruck ‚Lass die gelben Ochsen, lass es sein, lass es sich entwickeln’ nimmt er den Aberglauben ‚Die Welt ist auf den Hörnern gelber Ochsen errichtet’ aufs Korn. Er sagt, dass man keine Mauer vor den Augen errichten soll. Dann vermenschlicht er Gott, indem er sagt, dass die Existenz Gottes im Menschen selbst vorhanden ist.

Allerdings, schauen wir uns seine Grundeinstellung an, so erkennen wir, dass sich Veysel diesem Thema nicht als bewusster Gesellschafts-Volkslieddichter, nicht mit einem gesellschaftlichen Bewusstsein genähert hat. Veysel schreibt diese sich anscheinend von selbst entwickelnden Unterschiede Gott zu, dem Schicksal und anderen natürlichen Kräften. Er hat sich nicht die gesellschaftliche Ordnung gegenübergestellt, sondern die natürliche Ordnung."

Mit Betonungen wie „Seine Kunst ist eine romantische Kunst, die lobt und sich auf Existierendes beschränkt“ wird Veysel in einen engen Rahmen gesteckt. Mit diesen voreingenommenen Urteilen wird weder ein Beitrag zum Verständnis Âşık Veysels geleistet, noch stellen sich die Forscher, die diese Behauptungen aufstellen und auf die Tradition und die Weiterführung der Tradition bauen als kompetent dar. Indessen existiert jedoch Âşık Veysel mit seinem Leben, mit seinen Werken, mit seinen Gedichten. Nur wenn wir unsere Interpretationen von dieser konkreten Tatsache ausgehend machen, so können wir einen nützlichen Beitrag zum Verständnis leisten.

Wie ich in den obigen Feststellungen bereits angedeutet habe, war Âşık Veysel ein Mensch, der hinsichtlich seines kulturellen Kreises, in dem er sich befunden hat, von der Kultur des Dorf- und Kleinstadtlebens geprägt, der von den Werten dieser Umgebung und dieser sozialen Ordnung geprägt wurde. Eine typische Besonderheit, die diese Dorfkultur mit sich bringt, ist die Inkonsequenz. Wenn wir es mit einem Ausdruck dieser Kultur sagen möchten, so ist "Unbeständigkeit" auch bei ihm zu sehen. Solange die Halkevleri, die Köy Enstitüleri existierten, die einen wesentlichen Beitrag zu seiner Bekanntmachung, seiner Entwicklung geleistet haben, hat Veysel an ihrer Seite gestanden, sie gelobt und gepriesen. Doch als es zur Schließung dieser Einrichtungen kam, war er wenig betroffen und zeigte keine Reaktion. Das war auch seine größte Schwäche.

Âşık Veysel und Tradition

Wie in allen Völkern so haben auch die ältesten türkischen künstlerischen Werke ihre Wurzeln in mythischen Zeremonien.
Das bezüglich der türkischen Literaturgeschichte keine hervorragenden Quellen vorhanden sind, hat damit zu tun, dass diese sich auf einem weiten Feld ausgedehnt hat und immer in Bewegung stand, aber auch damit, dass die schriftliche Niederlegung dieser Werke sehr spät begann. Dies wird auch dadurch deutlich, dass man die ältesten Angaben zur türkischen Literatur und Geschichte in chinesischen Schriftstücken finden kann. „Die ältesten türkischen Dichter, wie Şaman von den Tongusen, Bo oder Bugue von den Mongolen und Boryatlaren, Oyun (Ouioun) von den Jakuten, Kam von den Altay Türken, Tadibei von den Samoiten, Tietoejoe von den Finovaren, Bksı- Bakşı von den Kirgisen oder Ozan von den Oghusen sind Zauber-Dichter. Diese Personen, die aus Berufen der Zauberei, dem Tänzer- und Musiker und dem Heilwesen kamen, nahmen im Volk einen wichtigen Platz und Bedeutung ein. Zu verschiedenen Zeiten und Plätzen veränderte sich natürlich der Grad ihrer Bedeutung und ihres Einflusses, ihrer Kleider, ihrer verwendeten Musikinstrumente, ihrer hervorgebrachten Werke. Aber verschiedenste Eigenschaften und Aufgaben, wie die Darbringung von Opfern für die Götter im Himmel, Begrabung der Seele der Verstorbenen, Treffen von Vorkehrungen und Verhinderung von Schlechtem, Krankheit und Tod, die von bösen Geistern hervorgerufen werden, Sendung mancher verstorbener Seelen in den Himmel und Aufrechterhaltung von Erinnerungen wurden nur diesen Personen zugeschrieben. Für alle diese auβergewöhnlichen Tätigkeiten wurden natürlich besondere Zeremonien veranstaltet. Davon ist ein Teil in Vergessenheit geraten, einiges ist abgeändert worden, aber manche dieser Zeremonien werden nach wie vor bei den Kirgisen, Altay Türken und den Kasaken aufrechterhalten. Der Schamane bringt sich bei diesen Zeremonien in einen ekstatischen Zustand, trägt einige Gedichte vor und begleitet diese mit seinen eigenen Musikinstrumenten. Diese Worte, die einen geheimnisvollen, mysteriösen Charakter besitzen, gemeinsam mit ihrer musikalischen Vertonung, stellen die älteste Version des türkischen Gedichtes dar.“

Ist eines der verwendeten Musikinstrumente auf diesen Zeremonien die "davul" (große Trommel), so ist ein anderes zweifelsohne die "kopuz" (birnenförmige, ein- oder mehr Saiten Gitarre). Abdülkadir Inan sagt: „Die heutigen kirgisisch- kasachischen Schamanen verwenden nach wie vor die kopuz. Nach der Annahme des islamischen Glaubens wurde bei den Oghusen die kopuz von den Volkslieddichtern, die die Schamanen-Traditionen aufrechterhielten, als gesegnetes Instrument bezeichnet. Dede Korkut tritt bei allen seinen Veranstaltungen mit der kopuz auf und bei der Darbringung, Namensvergabe und Applaus stimmt er jedes Mal die kopuz an. Der oghusische Held sammelt durch den Laut der kopuz Kraft und siegt dadurch bei den Aufeinandertreffen.“

Es gibt mehr als genug Quellen, die darauf hinweisen, dass die türkischen Volkslieddichter bei diesen Zeremonien dieses Musikinstrument verwendeten. In den Dede Korkut- Erzählungen, von denen man annimmt, das sie im XIV. – XV. Jahrhundert niedergeschrieben wurden, kann die Existenz der heiligen Haltung gegenüber der kopuz gesehen werden. In der Erzählung "Uşun Koca Oĝlu Segrek Boyu" wird dies wie folgt ausgedrückt: "Hey, ich habe nicht im Namen Dede Korkuts die kopuz gespielt. Hätte er keine kopuz in Händen gehalten, hätte ich dich für den Kopf meines Ağas in zwei Teile geteilt! Und er riss ihm die kopuz aus den Händen."

Wie man bei allen primitiven Gesellschaften sehen kann, haben auch in der türkischen Gesellschaft die Volkslieddichter oder Schamanen, an die man sich auch mit dem Namen "baksi" erinnert, verschiedenste Aufgaben, wie das Vortragen von Liedern, Spielen der Saz, kopuz oder davul, Zauberei, Heilberufe und ähnliche verschiedene Tätigkeiten, auf sich genommen. In dieser Hinsicht besaßen sie auf die Gesellschaft einen wichtigen Einfluss.
Die Verbreitung der Arbeitsteilung hat auch für die Personen und Charaktere, die wie die Volkslieddichter, Schamanen verschiedenste Tätigkeiten gleichzeitig durchführten, Veränderungen mit sich gebracht. Für religiöse Zeremonien gab es nun religiöse Gelehrte, für das Heilwesen Doktoren, verschiedenste Berufe entwickelten sich.

Prof. Dr. Umay Günay meint "Dass die durch die Annahme des islamischen Glaubens verschwunden geglaubte Tradition des Volkslieddichters und Schamanen fünf Jahrhunderte später plötzlich in einer islamisierten Form wieder auftaucht, ist unserer Meinung nach nicht möglich.“, erklärt dies folgenderweise: „Dass die Beispiele dieser Literatur aus den vergangenen Perioden noch nicht festgestellt werden konnten, ist Pech. Nach der Annahme des islamischen Glaubens waren die Türken mit dem Kampf und den Bemühungen, einen neuen Staat zu schaffen, beschäftigt. Es ist nur verständlich, dass mit den Anstrengungen, diese neue Religion zu verinnerlichen und auszubreiten, das Schaffen von Werken, die heute unter dem Begriff Tekke- Literatur bekannt sind, und dieser Kunst einen höheren Wert beizumessen, in den Hintergrund geraten ist. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die ersten Werke diesbezüglich nicht mit der Reim- und Versform von der arabisch-persischen Literatur und jener der nachfolgenden Jahrhunderte, sondern mit unserer nationalen Versdichtung und nationalen Elementen zurm Vorschein kamen. Dabei ging die Tradition des Volkslieddichters und Schamanen einerseits teilweise in die Tekke- Literatur ein, andererseits versuchte sie sich selbst aufzulösen. Es wurde eine Flexibilität entwickelt, die immer ihre eigenen Regeln und Formen berücksichtigte und sich dabei jedoch neuen Bedingungen anpassen konnte. In den Dede Korkut Erzählungen, die im XV. Jahrhundert niedergeschrieben wurden und dem XI. - XII. Jahrhundert zugeschrieben werden, ist der Typus des Volkslieddichters, die Tradition des Gedichtvortragens das Vortragen der Verse, mit denen die Helden der Erzählungen mit Begleitung der Saz ihre Ereignisse und Gefühle ausdrückten, nicht unterschiedlich zur Âşık- Dichtung, die vom XVI. Jahrhundert bis heute verfolgt werden kann. Die charakteristischen Merkmale der Volkslieddichter-Schamanen-Tradition, wie Zauberei, Heilwesen, Religionsgelehrte etc. verschwanden nach der Übernahme des Islams. Die Âşık (Volkslieddichter) nahmen nun die Aufgabe der Erziehung und der Vertretung der Kunst auf sich."

Der als Âşık bezeichnete Künstlertypus kann als Erschaffer von Gedichten, einer Mischung aus Versen und Reimen bestehenden Erzählung, definiert werden. Boratav sagt: "...Er ist ein Künstler, der einerseits die alte Tradition der erzählenden Volksdichtung fortführt, aber andererseits, wie es auch der Name ausdrückt, Liebes- und melancholische Gedichte (eine Art der Lyrik) vorträgt. Seine Kreativität liegt in der improvisatorischen Wiedergabe: Er schreibt keine Gedichte, er singt sie. Bei ihm kann das Gedicht nicht von der Musik getrennt werden. Das heißt also, dass er nicht nur singt, sondern gleichzeitig spielt und singt. Die Volkslieddichter unterscheiden das Singen mit normaler Sprache und das Singen von Gedichten mit den Redensarten 'mit der Sprache singen' und 'mit den Saiten singen'. Damit möchte man ausdrücken, dass die begleitende Musik des Musikinstrumentes, der Saz, für den Âşık ein nicht wegdenkbares Element beim Vortragen seiner Gedichte ist." Boratav fügt hinzu: "Das heißt also, dass das Volksliedgedicht eine Kunstrichtung ist, die aus der gesprochenen Sprache entstanden und sich entwickelt hat. Es ist von der Musik nicht wegzudenken und beinhaltet Elemente wie Schauspieldramatik einer gemischten Erzählkunst."

Wenn man sich Âşık Veysel in dieser Tradition vorstellt, sieht man, dass wichtige Grundelemente der Âşık- Literatur wie das "bade içme" (Weintrinken) beim ihm nicht vorkommen, ebenso die Meister-Lehrling Beziehung; wie man auch in seiner Lebensgeschichte deutlich gesehen hat, ist Âşık Veysel durch eine Art Wegweisung zum Vorschein gekommen, war er nicht vollkommen und doch bis auf das Innerste mit dieser Tradition verbunden. Die Meister-Lehrling Beziehung bedeutet, dass man von einem Meister sowohl die Saz wie auch die Tradition lernt und eine gewisse zeitlang gemeinsam des Weges geht. Âşık Veysels Situation entsprach dem nicht. Zum Beispiel hat Âşık Veysel keine bade getrunken. Er war ein Âşık ohne bade. Auch findet man bei Âşık Veysel nicht das typische Element der Âşık- Dichtung, das Geschichten erzählen. Auch trifft man bei ihm nicht auf das traditionelle Aufeinandertreffen von Âşık- Dichtern, das in dieser Kunst so üblich war, also dem "atışma" (Wettbewerb), "muamma asma" (Rätsel aufgeben) oder "muamma çözme" (Rätsel lösen). Man findet bei ihm zwar manche atışma, doch sind diese nicht von der Art und Weise, wie sie in dieser Tradition üblich sind.

Natürlich nimmt Âşık Veysel in der türkischen Volkslieddichtung einen wichtigen Platz ein. Seine Verbundenheit mit dieser Tradition bringt er auch dadurch zur Sprache, dass er in einigen seiner Werke wichtige Volkslieddichter erwähnt: Karacaoğlan, Dertli, Ich stamme von Yunus ab, Ich habe manch ähnliche Eigenschaften wie Mansur. Aber dieses zur Sprache bringen ist nicht mit der üblichen traditionellen Art dieser Kunst zu vergleichen. In einem Gedicht singt er:
"Aus meiner vollen Hand habe ich getrunken
In verschiedenes Unglück bin ich gestürzt."
Diese Zeilen lassen zwar eine Verbindung zur Tradition des bade Trinkens erahnen, in Wirklichkeit haben diese Zeilen aber nichts damit zu tun. Die Betonung von Adnan Binyazar, der meinte, dass Veysel auch aus voller Hand getrunken habe und somit das Recht habe, sich zu den Âşık- Dichtern zu zählen, ist in dieser Hinsicht wohl etwas übertrieben.

In der Arbeit von Kurt Reinhard mit der Überschrift „Typen der Âşık Melodie in der Provinz Sivas“ wird die als Âşık Veysel Richtung und die Âşık- Weisen Zentralanatoliens von den anonymen Volksliedern und –weisen folgenderweise unterschieden: „Die Âşık- Weisen stehen mit der Zahl der Halbverse in Verbindung. Wiederholte Wörter werden in einer offenen Form ausgesprochen. In den Weisen werden bestimmte Motive häufig wiederholt, bei dem Volkslied wird die Saz bei bestimmten Abschnitten eingesetzt. Das plötzliche Ende des Volksliedes oder deren langsamer werden gegen Ende des Stückes, hängt von der Stimmung des Saz- Spielers und dessen Können ab. Bei den Weisen der Âşık- Dichtung gibt es Beispiele, die sowohl die Linksstimme als Hauptton oder die ‚la’ und ‚mi’ Stimmen als Hauptton verwenden.

Die Âşık- Weisen teilen sich in zwei Gruppen ein, die Gruppe, bei der die Sprache im Verhältnis zur Musikweise im Vordergrund steht und die andere Gruppe, bei der die Melodie eine wichtigere Rolle einnimmt. Mit dem Fuß wird ein Rhythmus vorgegeben, dem sich der Sprach- Rhythmus anpasst. Bei der Gruppe, bei der das Wort im Vordergrund steht, wird die Musik verlangsamt und dem Fuß- Rhythmus angepasst. Die Musikweise bleibt somit häufig hinter den Worten zurück, manchmal wird auch die Musik ausgelassen, um die Worte besser verstehen zu können. In der anderen Gruppe, in der die Musik im Vordergrund steht, wird eine Silbe oft über mehrere Noten hinweg gesungen, wodurch der Text schwieriger zu verstehen ist."

Man erhält also, alles dies beachtend, folgendes Bild: 1. Âşık Veysel ist nach klassischer Auffassung kein Âşık- Dichter, 2. die Tradition ist mit Âşık Veysel gebrochen.

Ahmet Kutsi Tecer macht diesbezüglich einen interessanten Vergleich und eine interessante Interpretation: „Während bei Âşık Veysel, Veysel Şatıroğlu wieder zum Leben erwacht, wird bei Veysel Şatıroğlu Âşık Veysel beendet. Sein Unterschied zu denen, die aus der Periode des Tanzimat kamen, ist seine Stimme. Seine Saite wurde für uns gebunden. Die Saite des Tanzimat war eine imitierte. In einer Hinsicht war Veysel wie die anderen Zeitgenossen. Zum Beispiel, so häufig Ceyhun Kansu Veysel vorgetragen hat, so häufig hat auch Şatıroğlu Ceyhun vorgetragen. In dieser Hinsicht haben sich Veysel und seine Zeitgenossen gegenseitig angezogen. Wie unterschiedlich Ceyhun Kansu und Faruk Nafız Çamlıbel in ihrer Art und Weise sind, so unterschiedlich sind auch Şatıroğlu und seine Zeitgenossen. Der Unterschied, der Veysel von den anderen trennt, ist, dass er nicht wie sie aus der Tradition des Tanzimat kommt, sondern aus der Tradition des Volksgedichtes. Veysel Şatıroğlu hat als Âşık Veysel die Tradition des Volksgedichtes gelebt und ist in die heutige Zeit von dort gekommen.

Meiner Meinung nach ist die größte Besonderheit Âşık Veysels in seinem Bruch mit der Tradition zu sehen. Die Schwäche und schwere Didaktik seiner ersten Werke ist auch in diesem Faktum zu sehen."

Allerdings darf man nicht vergessen, dass man ihn nicht gänzlich von der Tradition abstrahieren kann. So wie Enver Gökçe sagte:

"Die gemeinsamen Besonderheiten der Volksdichtung, wie die Untrennbarkeit von Worten und Saz, die idealistische Neigung und dessen Abstrahierung in den Volksgedichten, sind auch hauptsächliche Elemente der Kunst Âşık Veysels. Kurz gesagt ist Âşık Veysel, mit seinem natürlichen Einfühlungsvermögen, obwohl dieses nicht an eine bestimmt religiöse Klasse gebunden ist, mit seinen mystischen Seiten, seinem Verständnis vom Weltall, der Existenz, der Schöpfung, ein mit der Tradition verbundener Saz- Dichter."

Âşık Veysel ist somit traditionell, wie auch modern. Wenn wir später genauer auf seine Werke eingehen, so können wir dies detaillierter sehen. Allerdings kommt dies nicht von selbst, sondern ein Bewusstsein bringt ihn dorthin. Zum Beispiel, obwohl er in einer alewitischen Kultur aufgezogen wurde und sein Vater der "Tekke"- Tradition verbunden war, singt Âşık Veysel keinen "duvaz imam" wie alle anderen Volkslieddichter. In keinem einzigen Gedicht kommen die Wörter "Schah" oder "12 Imam" vor. Obwohl Âşık Veysel aus der alewitischen Kultur hervorgebracht wurde und seine besuchten Dörfer zum Großteil alewitische Dörfer waren. Sein Zeitgenosse Ali Izzet Ukan war indessen nicht so. Er war dabei so entschlossen, dass er das Werk Pir Sultans mit den Zeilen "Lass uns zum Schah gehen" abänderte. Das heißt, dass Âşık Veysel von seiner Umgebung in dieser Hinsicht von Anfang an geprägt war, oder dass er diese Haltung als Lebensphilosophie aufgenommen hat. Wie auch immer, Veysel war in dieser Hinsicht sehr konsequent. Und es gibt noch einen Punkt: Er distanzierte sich davon, ein Dorf- oder Landdichter zu sein. Veysel bricht aus dem Dorf nach außen. Es gibt noch eine soziale Umgebung, die sein Leben, seine Werke prägen: die Kleinstadt.

EINEM SORGENLOSEN MENSCHEN KANN ICH MEIN LEID NICHT ERZÄHLEN
 
Âşık VEYSEL