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Volksdichter
Yunus
Emre
Yunus Emre war türkischer Dichter, Vorkämpfer des Sufismus und der
türkischen Dichtung in Anatolien. Er entwickelte eine Auffassung, die sich
auf die Liebe zum Menschen stützt.
Wie es über sein Leben kein genaues Wissen gibt, so sind auch die in
verschiedenen Quellen angegebenen Informationen widersprüchlich. Sein
Geburtsdatum und –ort sind unbekannt. In manchen Quellen wird behauptet,
dass er einer der türkischen Volksgruppen angehöre, die aus dem Osten nach
Anatolien kamen. Auch wenn es behauptet wird, dass er um 1238 geboren wurde,
so ist dies nicht sicher. Weiter wird auch gesagt, dass er um 1320 in
Eskişehir gestorben sei. In einigen Gebieten Westanatoliens gibt es manche
Orte, die mit ihm in Zusammenhang gebracht wurden und deshalb den Namen
„Yunus Emre“ tragen. Nach durchgeführten Untersuchungen zufolge wurde der
Gedichtband „Divan“, der alle seine Gedichte beinhaltet, ungefähr 70 Jahre
nach seinem Tode zusammengestellt. Die Gedichte von Yunus Emre Gedichte
haben sich mit den Gedichten anderer Volksdichter vermischt, die ebenfalls
den Namen „Yunus Emre“ trugen, jedoch viel später in Anatolien lebten. Ein
Teil dieser Gedichte wurde einer sprachlichen Untersuchung unterzogen, deren
Ergebnis 357 Gedichte Yunus Emre zuordnete. Weitere 310 Gedichte wurden
zusammengestellt, die zwar unter dem Namen Yunus Emre erschienen, jedoch
anderen Dichtern zuzuordnen sind. Seine Originalität und der Einfluss,
hinsichtlich seiner Sprache, seiner Gedichte und Gedanken, sind auf diese
ersten Auslesegedichte aus dem "Divan" zurückzuführen.
In den Gedichten von Yunus Emre sind
vier Grundprobleme, nämlich Sprache, Gedanke, Gefühl und Schöpfungskraft,
aus literaturgeschichtlichem Gesichtspunkt ersichtlich. Diese Probleme
werden in einer Ganzheit von Ansicht und Glauben bearbeitet und im Thema
Mensch fokussiert. Die Themen, die in den Gedichten behandelt werden, sind
im allgemeinen Begriffe, die das tatsächliche Leben betreffen: Mensch, Gott,
Seinesgleichen, Liebe, Lebensfreude, Frieden, Universum, Tod und
Freigiebigkeit. Er hat diese Begriffe in seinen Gedichten in ihrer
Gesamtheit als grundlegende Basis dargelegt.
Der Mensch ist ein „Geschöpf der Liebe“, der über zwei eigene Substanzen,
Geist und Körper, verfügt. Der Geist ist göttlich und unsterblich. Während
seines Aufenthaltes im Körper ist er die Quelle für Sehnsucht nach Sinn und
Erhabenheit und verlangt nach göttlichem Universum. Der Körper kann sich
zerlegen, kann sich in seine Elemente teilen. Das gesamte Universum, das
auch den Mensch beinhaltet, wurde aus den vier Grundelementen Erde, Wasser,
Feuer und Wind konstruiert. Diese vier Grundelemente wurden erschaffen und
deren Schöpfer ist Gott. Nachdem Gott diese vier Grundelemente erschaffen
hatte, mischte er sie in unterschiedlichen Mengen zusammen, somit entstand
die Mannigfaltigkeit der Arten. Der Mensch gelangt durch Liebe zu Gott, denn
zwischen Gott und dem Menschen besteht eine Identität. Jedoch stellt das
Dasein des Menschen in der materiellen Welt und die Entfernung des Geistes
von der göttlichen Quelle eine Trennung dar. Diese Trennung führte dazu,
dass der Mensch zeit seines Lebens an Gott denkt und ihn herbeisehnt. In
Wahrheit ist die Mensch-Gott-Universum-Trinität eine Einheit. Was beständig
ist, ist Gott. Die Vielfalt der Arten ist nur Schein. Denn Gott umfasst alle
Wesensarten und widerspiegelt sich in jedem Wesen. Die Elemente, die das
Universum bilden und die Grundstoffe, die den menschlichen Körper bilden
sind identisch. Diese Identität besteht aufgrund dessen, da die göttliche
Substanz in jeder Wesensart die Grundbasis der Gestaltung darstellt. Die bei
den Lebewesen vorhandene göttliche Substanz ist eine Eigenschaft der
Widerspiegelung, denn nur durch die Widerspiegelung Gottes im Lebewesen wird
die Schöpfung verwirklicht.
Liebe hat die Tendenz, bei den Menschen eine verbindende und vereinigende
Rolle zu spielen. Yunus Emre versteht unter Liebe die Tendenz und Empfindung
der Nähe zu Gott und den Wesen, die er erschaffen hat. Ziel der Liebe ist
es, zum allmächtigen Gott, zu den Unsterblichen, in seinem Wesen zur
Ganzheit zu gelangen. Da Gott mit dem Menschen identisch ist, liebt man Gott,
wenn man sich selbst liebt und liebt man sich selbst, wenn man Gott liebt.
Denn Liebe bedeutet, dass man sich in dem Anderen und den Anderen in sich
selbst findet. Dort wo es keine Liebe gibt, entstehen negative Zustände wie
Zorn, Empörung, Auseinandergefallenheit und Zerrissenheit voneinander. Liebe
ist ein Prozess der Reifung, lieben ist Weisheit. Den Wert der Liebe kennt
nur derjenige, der liebt. In den Herzen, die nicht genügend aufgeklärt sind
und denen das Licht Gottes versagt blieb, hat Liebe keinen Platz. Was die
Wesensarten aneinander bindet und was sie zum göttlichen Universum führt,
ist allein die Liebe. Da Liebe kein Nutzmittel ist, erwartet der Liebende
keine Belohnung. Ein echter Freund ist nur der, der wirklich liebt (Âşık =
Verliebter). In einem weiteren Verständnis ist ein echter Freund Gott, die
Substanz, der Glanz in den Herzen des Menschen.
Für Yunus Emre heißt leben, in dem
Universum, das die Widerspiegelung der göttlichen Substanz darstellt, Freude
zu empfinden. Gott wird in jedem Lebewesen gesehen, insofern steht man
überall Gott gegenüber, wenn man liebend und denkend zu leben weiß. Leben
wiederum bedeutet nicht, sich an bestimmten Objekten zu binden oder
vergänglichen Dingen nachzulaufen. Eine solche Lebensweise würde den
Menschen von der göttlichen Substanz entfernen, sowie ihm die Vollendung und
Reifung versagen. In der Sprache von Yunus Emre wird eine weise Person
"eren’"(Heilige/r) genannt. Ein Heiliger ist die Person, die weiß, in
Frieden zu leben, die weiß, alle Menschen als seine Brüder oder Schwestern
zu sehen und die weiß, auch jene Menschen zu lieben, die ihn nicht lieben.
Sein Herz ist nur mit Gefühlen wie Liebe und Freundschaft gefüllt. Da der
Heilige weiß, dass das Universum ein göttlicher Erscheinungsraum ist,
empfindet er gegenüber dem Universum Liebe und Achtung. In den Augen des
Heiligen ist der Mensch ein kleines Universum. Das große Universum ist der
Raum, der die unendlich göttliche Substanz umschlossen hat. Bei dem Menschen,
der den Stand des Heiligen erreicht hat, befinden sich Tugend,
Bescheidenheit, Freigiebigkeit, Vollkommenheit und Reife in einer Ganzheit.
Der Tod verwirklicht sich, indem der Geist den Körper verlässt und zur
göttlichen Quelle zurückkehrt. Deshalb stellt der Tod eine Trennung zwischen
dem Geist und dem Körper dar. In Wirklichkeit existiert der Tod nicht,
sondern nur die Erlangung der Unsterblichkeit des Geistes, die Rückkehr zur
erhabenen Quelle. Da alle Wesensarten eine Widerspiegelung der göttlichen
Substanz sind, existiert der echte Tod nicht. In einem anderen Verständnis
bedeutet Tod, Entbehrung von Wissen, Tugend, Vollkommenheit und Liebe.
In den Gedichten von Yunus Emre finden sich alle strittigen Fragen der
sufistischen Lehrer, die im Neu-Platonismus begründet liegen. Er brachte
diesen Fragen keine neuen Lösungen, sondern interpretierte sie anhand der
Methoden des Neu-Platonismus. Aus diesem Grunde sind seine Gedichte die
türkische Erklärung des Neu-Platonismus.
Eine bedeutende Seite von Yunus Emre hinsichtlich der Literaturgeschichte
ist, dass er in Anatolien der Vorkämpfer der türkischen Lyrik-Sprache ist
und die Fragen des Sufismus in einer einfachen und leicht verständlichen
Sprache vorträgt. Obwohl das Versmaß "aruz" (quantitierende ar.-pers.
Versmaß) seiner Gedichte nicht für die türkische Sprache geeignet ist, trägt
sein Vortragen eine fließende und hinter sich herziehende Eigenschaft. Er
trägt die schwer verständlichen Begriffe des Sufismus in einer der
türkischen Lautstruktur geeigneten Art vor und es wird in seinen Gedichten
eine Tiefe gesehen, in der eine Gefühl- und Gedankeneinheit hervorgeht. In
seiner Sprache, die sich von Zeit zu Zeit der einfachen Volksaussprache
annähert, trägt die Verbindung Bedeutung- Harmonie eine einheitliche Tiefe.
Das Wichtigste für ihn ist, dass man einen Satz wirkungsvoll vorträgt. Aus
diesem Grunde soll ein Satz kein inhaltsloser Begriff sein sondern muss die
Wesensprobleme, einen Gedanken zur Sprache bringen. Der Mensch ist nur durch
seine Aussprachefähigkeit ein Mensch; der Sprecher ist in der Situation
Gottes. Bei Yunus Emre gewann die türkische Sprache, neben seiner
Eigenschaft als Dichtungssprache, die Besonderheit eines die Gedanken
umfassenden, aufklärenden Fokus.
Yunus Emre wirkte zweifach, das eine sind seine Gedichte, das andere seine Gedanken. Er wird als Vorkämpfer der Volksdichtung gesehen, sei es mit seiner Sprache oder sei es mit seinen Ansichten. Sein Einfluss war besonders bei jenen Volksdichtern, die die Alewitische Bektaschi- Tradition weiterführten und sich den sufischtischen Gedanken angeeignet haben, wirksam.
Seine wichtigsten Werke:
Divan (postum), 1943; Risaletü’n-Nushiye
(postum), 1965, ("Ratschläge Büchlein")
Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen
Mein Weg führt nicht an Dir vorbei
Wohin ich auch schaue, Du bist überall
Mit dem Blut nehme ich Dich auf und in mich rein
Er ist vollkommen, hat keinen Mangel
Kann man mit einem Mangel Ihn erreichen
Frag mich nicht, Er hat mich mir selbst entnommen
Deine Gestalt dringt in mich ein
Meine Hand erreicht nicht Ihn, der mich von mir nahm
Wer auf Seinen Stufen schreitet, hat großes Glück
So manche hat das Schicksal zu hohem Verständnis geführt
So manche erreichten das Ziel in Ihm
Wessen Auge vom Glanz des Feuers berührt wird
Erreicht das Licht der Sonne durch Seinen Glanz
Deine Liebe hat mich mir entrissen
Welch süßes Leid, durch dies Heilmittel Dich zu erreichen
Das Gesetz der Religion und die Derwische sind der Weg, der zu Ihm führt
Wahrheit und Gotteserkenntnis führen zu Ihm
Man sagt, dass Salomon die Sprache der Vögel sprach
Salomon gibt es, er führt zu Ihm
Ich habe vergessen die Religion, Frömmigkeit ist geblieben
Welch religiöses Bekenntnis, das Religion zu Ihm führt
Wer die Religion verlässt, dessen Beschäftigung sei Gotteslästerung
Welch Gotteslästerung, dass Prüfung zu Ihm führt
Als Yunus vorbeiging, staunte er über den Freund
Der an der Tür nicht vorbeikam, an der Tür zu Ihm
(Yunus Emre)




