| Volkskunde |
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Aşık - Tekke Literatur (Volksgesang - mystische Dichtung)
Feiertage - Zeremonien - Feierlichkeiten
Musikkultur in der Türkei und Beispiele
Kleidung, traditionelle Kunst und Kunsthandwerk, naive Malerei
Bauart, Beheizung und Beleuchtung
Volkskunde
Als Alltagsleben kann die Gesamtheit
aller Anstrengungen gesehen werden, mit denen in einer Niederlassungseinheit
das Leben jedes einzelnen Familienmitgliedes durch gegenseitige Zuerkennung
von Rechten und Aufgaben geregelt wird.
Das tägliche Leben in Anatolien beginnt mit dem Sonnenaufgang und endet mit
dem Sonnenuntergang. Die Aufgaben, die in dieser Zeitspanne den Eltern und
Kindern zufallen, sind durch Traditionen und Gewohnheiten sowie Sitten und
Bräuchen, die von der Vergangenheit bis heute aufrechterhalten wurden,
festgelegt. Allerdings können durch den Wandel der gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Struktur einige Veränderungen festgestellt werden, die sich
auf das Aufgabenfeld des Einzelnen, wenn auch nicht inhaltlich so doch in
seiner Form, auswirken.
Brauch - Sitte - Tradition - Gewohnheiten
Brauch
Als Bräuche können Gruppen von beispielhaftem Verhalten und Vorgehen
bezeichnet werden, die oftmals die strengen Erwartungen der Gesellschaft
charakterisieren. Bräuche stellen gleichzeitig auch Bausteine des
Fundamentes, das das Wertsystem der Gesellschaft ausmacht, dar. Je nach
Gesellschaftsstruktur begründet dieses Wertsystem besondere Rechtsregelungen.
Bräuche haben die Funktion Beziehungen, Verhaltensweisen und Einstellungen
des Individuums dem Einzelnen, der Familie, den Nachbarn und Verwandten
gegenüber, sowie dem Volk und der Nation gegenüber zu regeln und zu
bestimmen. Bräuche, die jedes einzelne Gesellschaftsmitglied ständig unter
einen gewissen Druck setzen und denen Zwang und Verbote eigen sind
ermöglichen die Anpassung des Individuums an die Gruppe oder Gesellschaft.
Auf der anderen Seite tragen einige geschlechts-, alters-, klassen- und
berufsspezifische Bräuche Funktionen wie Aufrechterhaltung der Bindung,
Schutz, Festigung und Kontrolle. In manchen Gesellschaften wird das
Missachten von Bräuchen mit der Missachtung von Gesetzen gleichgestellt.
Manches mal wird dies sogar schwerer gewertet, als eine Gesetzesmissachtung
und das Individuum wird mit einem strengen und unverzeihlichen Verhalten
bestraft.
Sitte
Ebenso wie Bräuche organisieren, regeln und kontrollieren auch Sitten eine
Vielzahl von sozialen Beziehungen. Sie beeinflussen die Regelmäßigkeit des
gesellschaftlichen Lebens und die Anwendung bestimmter Regeln. Als Beispiel
dafür können die Verabschiedungs- und Geleitzeremonien oder
Willkommenszeremonien ebenso genannt werden wie die Essens- und Tischordnung,
Feierlichkeiten und Zeremonien bei Wendepunkten des Lebens, Verlobungs- und
Hochzeitszeremonien, die Beziehungsformen unter Berufsgruppen,
Begrüßungsformen, Regeln bei der Nachfrage des Befindens zu bestimmten
Anlässen, Verhaltensweisen bei Feiertagen, Jahreszeiten oder bestimmten
wichtigen Tagen, Anteilnahme an der Trauer und Kondolenzbesuche. In den
Bereich der Sitte fallen alle Regeln und Worte, die mit o. g. Situationen in
Verbindung stehen sowie die Regeln zur Überreichung von Geschenken und
dementsprechende Verhaltensweisen.
Ursprung und Form der Sitten gehen auf verschiedene Wurzeln zurück.
Lebensformen vergangener Zeiten, Weltanschauung sowie interessante Zufälle
und Ereignisse nehmen dabei eine wichtige Stelle ein. Wie es in einer
Gesellschaft Sitten gibt, die für die gesamte Gesellschaft Gültigkeit haben,
so gibt es auch unter kleineren Gruppen wie Berufsgruppen, ethnischen
Gruppen etc. eigene spezifische Sitten. Die Verantwortung für die
gewohnheitsmäßige Praktizierung dieser Sitten übernehmen dabei unbewusst
oder bewusst bestimmte Alters- oder Geschlechtsgruppen, religiöse Führer,
Vereinsführer etc. Einig dieser Sitten besitzen eine relativ stabile,
unbeeinflussbare Eigenschaft, andere dagegen verändern sich im Laufe der
Zeit. Ein Teil der Sitten versucht mit den großen Veränderungen der
Gesellschaft mitzuhalten und ändern dabei ihre Form und Eigenheit, man kann
sogar sagen ihre Charakteristik. Ein Teil hält seine grundlegenden Elemente
aufrecht und ein Teil ähnlich lebender Organismen wird den Änderungen der
Zeit nicht widerstehen können und eines Tages gänzlich verschwinden.
Tradition
Weit betrachtet versteht man unter Tradition das von einer auf die nächste
Generation übertragene Wissen, Vorstellungen, Aberglauben und Lebensform,
man kann sagen, es beinhaltet alles, was nicht von materieller Natur ist. In
enger Betrachtungsweise versteht man unter Tradition die Ansichten einer
Gesellschaft über Traditionen hinweg zu bestimmten wichtigen Themen wie z.B.
heilige oder religiöse Angelegenheiten oder Politik. Traditionen können in
zwei Gruppen, nämlich mündliche und schriftliche Traditionen eingeteilt
werden. Ähnlich wie Sitten, aber wesentlich stärker und einflussreicher
organisieren und kontrollieren sie das gesellschaftliche Leben. Traditionen
haben im generellen eine konservative Eigenschaft und beeinflussen
gesellschaftliche Regeln auf bestimmten Gebieten wie Familie, Recht,
Religion und Politik. Wissenschaft und Kunst stehen weniger unter dem
Einfluss von Traditionen. Wenn sich ein Individuum gegen seine Gruppe oder
den Traditionen der Gesellschaft auflehnt, können die Reaktionen von
Angriffen auf die Person verächtliche Betrachtung bis hin zur Verspottung
verschiedenste Dimensionen annehmen. Wie auch bei Bräuchen so gibt es auch
bei Traditionen Arten, die durch Gesetze geregelt werden. Diese Gesetze
versuchen die Traditionen und die Strafen für das Auflehnen diesen gegenüber
in ein gewisses Maß zu drängen. Im Allgemeinen regeln Traditionen jedoch ein
größeres Verhaltensumfeld als Gesetze.
Gewohnheit
Vergleicht man die Gewohnheit mit Bräuchen, Sitten und Traditionen, so ist
ihre Durchsetzungskraft wesentlich geringer. Während beim Brauch die
Durchführungspflicht und bei der Sitte und Tradition die
Durchführungsbesonderheit vorherrscht, so trägt die Gewohnheit die
Besonderheit der Durchführungsmöglichkeit. Einfach ausgedrückt, die
Gewohnheit umfasst zwar auch notwendige und passende Verhaltensweisen,
verlangt aber nicht unbedingt, dass diese auch durchgeführt werden.
Gewohnheiten haben häufig noch nicht den Stand einer Sitte erreicht und
nehmen sehr leicht je nach Entwicklung der Gruppe oder Gesellschaft neue
Verhaltensweisen an. Genauso wie diese andauern können, können diese jedoch
auch wieder einfach aufgegeben werden. Gewohnheiten spielen eine wichtige
Rolle bei der Organisation des täglichen Lebens, bei der Verringerung von
Reibungen zwischen Individuen und bei der Erleichterung gesellschaftlicher
Beziehungen. Sie helfen im sozialen Verhalten wie Besuch von Nachbarn oder
Kranken, beim Einkauf, beim Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln oder
bei Begrüßungsformalitäten Beziehungen ordnungsgerecht aufrechtzuerhalten
und richtige Verhaltensweisen zu wählen.
Traditionelle Einrichtungen - Orden -
Religiöse Traditionen
Traditionelle Einrichtungen – Orden
Die Chorasan Derwische, zu denen auch der große türkische Denker Hacı Bektaş-ı
Veli zählt haben gemeinsam mit den in Anatolien lebenden christlichen
Gruppen und den nach Anatolien emigrierten turkmenischen Gruppen mit ihren
erzieherischen und gestalterischen Aktivitäten einen kulturellen
Schmelztiegel geschaffen und eine wichtige Rolle zur Entstehung der
kulturellen Einheit Anatoliens und einer zentralen Autorität gespielt. Ein
Teil der durch Wanderung oder Migration nach Anatolien kommenden Derwische
hat sich in Bergen, andere wiederum haben sich an verlassenen Wegkreuzungen
niedergelassen. Sie haben dort Derwischklöster errichtet, die sich mit der
Zeit zu wichtigen kulturellen, gestalterischen und religiösen Zentren
entwickelten. Auf diese Weise verbreiteten sich religiöse Einrichtungen in
allen Himmelsrichtungen. Regeln für Sitte und Anstand, Verhalten und Glauben
wurden standardisiert, Wissen und Wissenschaft wurde in diesen Zentren
produziert und gelehrt. Diese wurden von Führern unterstützt, die sich in
den Dörfern der Derwische ansiedelten und mit der Bodenbebauung und
Erziehung beschäftigt waren. Den Derwischen wurden einige Privilegien
zugestanden. Als Ergebnis wurden in den abgelegenen Winkeln Anatoliens
Derwischklöster errichtet und durch deren Bildungseinfluss begann sich eine
neue kulturelle Struktur herauszukristallisieren. Einer mit diesen Zielen
nach Anatolien kommenden Chorasan Derwische war Hacı Bektaş-ı Veli. Hacı
Bektaş-ı Veli wurde 1248 v. Chr. in der Stadt Nişabur des iranischen
Chorasan geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Chorasan. Im
Zentrum Hoca Ahmet Yesevi’s erhielt er Unterricht in Philosophie, Sozial-
und Naturwissenschaften. Nachdem er den Iran, Irak und Arabien bereist und
untersucht hat, kam er 1275/80 v. Chr. nach Anatolien und ließ sich in dem
damaligen Sulucakarahöyük, dem heutigen Hacı Bektaş, nieder. Zu diesem
Zeitpunkt wurde Anatolien einerseits von der mongolischen Besetzung
unterdrückt, auf der anderen Seite erlebte es gemeinsam mit politischen und
wirtschaftlichen Krisen einen großen Thron-Streit. In einem solchen Umfeld
siedelte sich Hacı Bektaş-ı Veli in Sulucakarahöyük an, entwickelte hier
seine Philosophie und begann, Schüler auszubilden. Sein Gedankensystem, das
auf Menschenliebe und Toleranz aufbaut, erreichte innerhalb kürzester Zeit
die Massen des Volkes des christlichen Kappadozien, die sich diese Lehren
aneigneten.
• Das Ende des Weges, der nicht über Wissen und Kenntnis führt, wird dunkel
sein
• Lehrt die Frauen
• Kontrolliere deine Hände, Lenden und Zunge!
• Das größte Buch, das zu lesen ist, ist der Mensch,
• Ehrlichkeit ist die Tür zur Freundschaft,
• Lehren, den richtigen Weg weisen, bedeutet nicht zu nehmen, sondern zu
geben
• Die Welt befindet sich im Menschen, der Mensch in der Welt
• Wissen ist das Licht, das die Wege zur Wahrhaftigkeit erleuchtet
• Das Ende jener, die nicht den Weg der Erkenntnis gehen, ist dunkel
• Unser Weg wurde auf Wissen, Bildung und Menschenliebe gebaut
• Halte das Haus, in dem du wohnst, sauber, und werde dem Geld, das du
verdienst, gerecht
• Auch wenn du gekränkt bist, so beleidige, kränke niemanden
• Kein Volk und kein Mensch darf missbilligt werden
• Wie glücklich kann sich jener zählen, dem in seinem Trübsal oder seiner
Ausweglosigkeit ein Licht gezeigt wird
• Suche, dann findest du
• Die Größe des Menschen ist die Schönheit seiner Worte
• Vergesst nicht, dass ihr, eingeschlossen des Feindes, Menschen seid
• Die größte Gnade (Heiligste) ist Arbeit
• Bei einem Gespräch fragt man nicht nach Frau und Mann
• Alles was Gott erschaffen hat, hat seinen Sinn
• In unserer Theorie gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau
• Mangel und Fehlerhaftigkeit gibt es nur in deiner Ansicht.
Die Grundlage seiner Philosophie liegt in der Existenz des Menschen und der
Menschenliebe. Diese Weltansicht spiegelt sich auch in der Deklaration der
Menschenrechte des Jahres 1948 wider. Die Gedanken von Hacı Bektaş-ı Veli
wurden ca. 600 Jahre nach ihm im Jahre 1923 von Mustafa Kemal Atatürk zur
Sprache gebracht, indem eine laizistische, demokratische und die
Menschenrechte achtende Republik gegründet wurde. Obwohl die Gründung dieser
Philosophie so lange zurückliegt, haben seine Gedanken ihre Gültigkeit
bewahrt und fahren fort, den menschlichen Weg zu erleuchten.
"Lebhaftigkeit liegt im Granatapfel, nicht im Haar
Heiligkeit liegt in der Jacke, nicht in der Kopfbedeckung*
Was auch immer du suchst, suche es in dir
Nicht in Jerusalem, Mekka oder auf der Pilgerfahrt."
* (Jene, die eine Pilgerfahrt durchgeführt haben, zeichnen sich mit einer
bes. Kopfbedeckung aus.)
"Religionsunterschiede hervorzuheben ist nutzlos. Religionen führen zu
Meinungsdifferenzen und Streit zwischen den Menschen. Eigentlich sind
Religionen dazu da, auf der Welt Frieden und Brüderlichkeit zu verbreiten."
Diese Ansicht von Hacı Bektaş-ı Veli ist die zentrale Aussage seines Werkes
"Velayetname". Der Bektaschi- Orden, der sich aus dem Gedankensystem von
Hacı Bektaş-ı Veli gegründet hat, beruht auf der Einheit "Kosmos-Gott-Mensch",
der wiederum Liebe als Fundament dient. Der Mensch ist eine Existenz der
Liebe. Der Mensch ist ausgestattet mit göttlichen Eigenschaften. Die erste
Stufe des Erfolges ist das sich Selbst-Kennen und Selbst-Lieben des Menschen.
Denn der Mensch trägt in sich einen göttlichen Kern, demzufolge liebt der
Mensch Gott, wenn er sich selbst liebt. Die Gottesliebe der Bektaschi wird
in dem untenstehenden Vierzeiler besonders schön ausgedrückt:
Die Schüler bearbeiten einen Stein
Und zeigen ihr Werk dem Meister
....
Bei jedem Stück des Steines.
Der Mensch stellt in seinem Lebensumfeld eine unabhängige Existenz dar.
Seine Aufgabe besteht darin, bescheiden zu handeln, keine Schuld auf sich zu
laden, zu reifen, sich nicht hervorzuheben und sich mit der Liebes Gottes zu
füllen. Der menschliche Körper ist nur ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen.
Darum ist es der größte Fehler, die Menschen aufgrund ihres Frau- oder
Mannseins zu unterscheiden oder auf sie aufgrund ihrer sozialen Stellung
oder Rasse herabzuschauen. Alle Menschen, alle Männer und Frauen sind gleich.
Die Philosophie von Hacı Bektaş-ı Veli wird bis heute aufrechterhalten und
jedes Jahr am 15. – 17. August wird in der Kreisstadt Hacıbektaş, gehörend
zum Bezirk Nevşehir, er und seine Philosophie mittels eines großen Festes
gefeiert.
Eine der Einrichtungen, die zur Gestaltung der kulturellen Einheit in
Anatolien beigetragen haben ist die „Ahilik“ (Name einer anatolische,
mittelalterlichen Gemeinschaft, die sich spezial aus Handwerkern,
Gewerbetreibenden und Bauern zusammensetzte und kollektive wirtschaftliche
und kulturelle Ziele verfolgte). Die gemeinsam mit den Yesevi Derwischen
nach Anatolien kommenden Ahiler ließen sich vorwiegend aufgrund ihrer
beruflichen Tätigkeit in städtischen Gebieten nieder. Ahilik ist neben einer
berufsspezifischen Gemeinschaft auch eine mystische Organisation, die
verschiedenste Bräuche und mystische Zeremonien lebte. Das diese
Organisation der Ahilik zu einer einflussreichen Kraft in Anatolien wurde,
ist auf die Unterstützung von Ahi Evran Veli, einer der Chorasan Derwische
wie Hacı Bektaş-ı Veli, zurückzuführen. Die Frau von Ahi Evran, Fatma Bacı,
ist als "Kadın Ana" (Mutterfrau) bekannt. Sie gründete die erste
Frauenorganisation der Welt unter dem Namen "Bacıyan-ı Rum". Unter dem
Scheichtum von Ahi Evran verbreiteten sich im 13. Jahrhundert die in Ankara
und Kırşehir versammelten Ahiler binnen kürzester Zeit in den
seldschukischen Städten. Die Ahiler haben bei der Gründung des osmanischen
Staates eine ziemlich wichtige Rolle gespielt. Manchen Quellen zufolge
sollen sich der Gründer der Osmanen, Osman Gazi, sein Sohn Orhan Gazi und
der 3. Sultan Murad I. unter den Reihen der Ahiler befunden haben.
Das wichtigste Prinzip der Ahilik ist, dass alle Mitglieder der Organisation
gleichwertig sind. Sie werden alle als Brüder angesehen. Nur hinsichtlich
der Stufen Reihenfolge gibt es eine Ehrerbietung der Jüngeren den Älteren
gegenüber. Um Mitglied zu werden, genügt es, von einem bereits bestehendem
Mitglied vorgeschlagen zu werden. Personen, die sich mit herabsetzenden
Tätigkeiten beschäftigen, von ihrer Umgebung als negativ betrachtet werden
und von denen angenommen wird, dass sie der Gemeinschaft schlechte Worte und
Unruhe bringen, können nicht als Ahi (Mitglied der Ahilik) aufgenommen
werden. Zum Beispiel Menschen, die einen Mord begangen haben, Tiere töten (Schlachter),
Diebe, Ehebrecher etc. werden nicht in die Gemeinschaft aufgenommen. Der
Eintritt in die Gemeinschaft geschieht wie bei dem Bektaschi- Orden mittels
einer speziellen Zeremonie. Bei dieser Zeremonie wird dem Anwärter ein
Leibgürtel umgebunden und er wird ermahnt, allen Menschen gegenüber Liebe zu
verbreiten, ihnen Ehrfurcht darzubieten und nicht vom rechten Weg abzukommen.
Von den Mitgliedern wird eine klare Verbundenheit und der Gemeinschaft
gegenüber endloser Gehorsam gefordert. Religionslose dürfen der Organisation
nicht beitreten, aber auch "sofu" (jene die kirchliche Vorschriften genau
befolgen) werden nicht aufgenommen. Auch in der Gemeinschaft der Ahilik,
ähnlich dem Bektaschi- Orden, werden bestimmte Stufen oder Phasen durchlebt,
die durch Wissenserwerb, Geduld, Säuberung der Seele, Loyalität,
Freundschaft, Nächstenliebe erreicht werden. Neben dem Erwerb dieser
Eigenschaften gibt es im Ahilik sechs grundlegende Prinzipien:
1. Halte die Hand geöffnet (sei großzügig, freigiebig)
2. Halte deinen Essenstisch offen (teile deine Speisen)
3. Halte deine Tür offen (sei gastfreundlich)
4. Halte deine Augen verschlossen (sieh nicht unbedingt jede negative
Kleinigkeit eines Menschen)
5. Sei Herr über deine Lenden (sei kein Ehebrecher)
6. Sei Herr über deine Worte (sei wahrhaft und belehrend)
Im Ahilik werden bestimmte Phasen durchschritten. In diesen Phasen werden
den Schülern berufliche Fähigkeiten, mystisches und religiöses Wissen, Lesen
und Schreiben, Türkisch, Arabisch, Persisch, Musik, Mathematik und
militärisches Wissen durch die "Fütüvvetname", eine Art Verfassung der
Organisation, gelehrt. In der Organisation der Ahilik findet sich ein
neunstufiges System:
• Jüngling, kräftiger Kerl
• Gehilfe
• Lehrling
• Geselle
• Meister
• Mitglied der Ahilik Gemeinschaft
• Ordensangehöriger, der das Recht zur Unterweisung erhalten hat
• Scheich; Oberhaupt einer bestimmte Gruppe
• eine Art Großmufti; Höchste der Gruppe
Obwohl die Organisation der Ahilik heutzutage nicht mehr existiert, so wird
doch jedes Jahr beginnend mit dem zweiten Montag des Monats Oktober eine
einwöchige Ahilik- Woche mit Feierlichkeiten offiziell eingeleitet.
Ein weiterer anatolischer Derwisch, der Licht auf die Menschheit brachte ist
Mevlana Celaleddin Rumi. Mevlana wurde 1207 in Chorasan geboren und starb im
Jahre 1273 in Konya. Seinen ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater
Bahaeddin Veled, der zu Lebzeiten als "Sultan der Gelehrten" bezeichnet
wurde. Mevlana, der umgeben von Mystizismus aufwuchs, begann nach dem
Zusammentreffen mit dem Ahi Şems Tebrizi seine eigenen Gedanken zu
formulieren. Sein Talent, seine mythischen Gedanken in Gedichtform
darzulegen hat ihn auf der ganzen Welt bekannt gemacht.
Nach Mevlana ist das Wichtigste, um Gott zu erreichen, die Liebe. Eine
Pflanze kann auch von einem Tier geliebt werden. Allerdings ist der Mensch
die einzige Existenz, die sowohl mit dem Körper, mit dem Bewusstsein, mit
den Gedanken als auch mit dem Gedächtnis lieben kann. Mevlana hebt die Liebe
zu einer Frau hoch hervor. Denn jemand, der eine andere Person lieben kann,
liebt auch sich selbst, die gesamte Menschheit, den Kosmos und Gott. Die
schönste Liebe ist die "wahre Liebe", die dann beginnt, wenn man dieses
Bewusstsein erreicht hat. Das Drehen der Mewlewi während der "sema" (Tanz
bzw. Kultübung der Mewlewi- Derwische) bedeutet nichts anderes als die
gesamte Welt durch Liebe zu vereinen, es ist das mithalten mit der
kosmischen Drehung. Eine der Hände weist dabei gegen den Himmel, die andere
auf die Erde, was bedeutet, dass die ganze Liebe von Gott der gesamten Welt
geboten wird. Die Seele ist ein von Gott hervorsprühender Bestandteil, sie
ist unsterblich. Die Seele befindet sich in ständiger Sehnsucht zur Rückkehr
nach Gott. Der Ton der „ney“ (Rohrflöte) ist die leidende Stimme der Seele,
die Stimme der Sehnsucht nach der Rückkehr zu ihrer Quelle, also zu Gott.
Mevlana bringt mit den Worten "Ey tanrıyı arayan, Aradığın sensin..." (He du
Gottessuchender, was du suchst, bist du selbst...) zum Ausdruck, dass der
Kosmos das endlose Existenzgebiet Gottes ist und der Mensch, als Teil dieses
Ganzen, in sich einen göttlichen Kern trägt.
"Komm, wer immer du auch bist, komm
Auch wenn du ein Gottloser, ein Feueranbeter
Mögest du auch tausendmal dein Gelöbnis brechen
Unser Derwischkloster ist kein Kloster der Hoffnungslosigkeit
Komm, wer immer du auch bist, komm"
Wie man aus den obigen Zeilen erkennen kann, glaubt Mevlana, dass alle
Menschen Brüder und die Unterschiede und Klüfte zwischen den Religionen
durch die göttliche Existenz vereinbar sind. Mevlana schenkt den Frauen
große Bedeutung und verteidigt den Gedanken, das Frauen den Männern gleich
sind, mit den Worten "Je mehr ihr wollt, dass sich eure Frauen bedecken,
desto mehr wird sich das Bedürfnis verstärken, die Frau zu sehen. Wenn das
Herz einer Frau, ebenso wie beim Mann, gut ist, dann wird sie – egal welche
Verbote du aushängst – den Weg des Guten gehen. Wenn dein Herz schlecht ist,
dann kannst du machen was du willst, doch du wirst sie nicht beeinflussen
können." Die Schüler Mevlanas wurden als "Kitap-el Esrar" (Geheimschreiber,
Geheimsekretäre) bezeichnet und es fanden sich unter seinen Schülern
Muslimen, Juden, Christen, Griechen, Iraner, Araber, Armenier und Türken.
Durch die Sammlung der Gedichte Mevlanas durch die Schüler
unterschiedlichster Religionen und Nationen konnten sie bis in die Gegenwart
erhalten bleiben.
Die Volksmedizin oder traditionelle
Medizin entstand aus den angenommenen Verhaltensweisen und Beziehungsformen
der ersten Menschen gegenüber Naturereignissen. Dabei hat Hexerei und
Zauberei eine wichtige Rolle gespielt. In diesen Gesellschaften, in denen
religiöser Glauben und Magie zunehmend wichtig wurden, wurde Gesundheit und
Krankheit mit dem Eintreten eines Fremdstoffes in den menschlichen Körper
und seinen bösen Auswirkungen erklärt. Die gefundenen Heil- und
Hilfsmaßnahmen, um den Menschen davor zu schützen, wurden das Fundament für
die Volksmedizin. Aus diesem Grunde sind in traditionellen Gesellschaften
die Gedanken bezüglich Gesundheit und Krankheit als ein Teil der Volkskultur
anzusehen. Das ist auch der Grund, warum sich Disziplinen wie Anthropologie,
Ethnologie und Volkskunde mit diesem Thema auseinandersetzen. Die technische
Analyse dieses Themas dagegen wird von der Medizin oder Pharmazie erläutert
und erklärt.
Die Volksmedizin oder traditionelle Medizin weist zur modernen Medizin
Unterschiede auf. Die traditionelle Medizin lebt unter dem Volk als ein Teil
ihrer Kultur. Wenn in einer traditionellen Gesellschaft eine Person etwas
über eine bestimmte Krankheit weiß, so wissen dies auch die anderen
Gesellschaftsmitglieder. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation
weitergegeben. In einer solchen Gesellschaft lernt eine Person die
Volksmedizin auf demselben Weg, wie es andere Kultureigenheiten lernt.
Die Volksmedizin ist mit den anderen Kulturelementen auf hervorragende Weise
vereint. Ein an einer bestimmten Krankheit Erkrankter wird entweder gesund
oder er stirbt. Wenn der Kranke geheilt wird, bedeutet dies, dass die
Behandlung erfolgreich war und diese Behandlung weiterhin bei gleichen
Krankheitsfällen angewendet wird. Sollte der Kranke sterben, so glaubt man
eher daran, dass der Kranke selbst die Behandlung nicht durchgeführt hat
oder dass er außerhalb der Behandlung geblieben ist, als dass die Behandlung
ungeeignet war.
Der wichtigste Unterschied zwischen der modernen Medizin und der
Volksmedizin liegt im Grund des Ausbruches der Krankheit. Während man in der
modernen Medizin die Krankheit auf Krankheitserreger wie Virus
zurückzuführen sucht, sucht die Volksmedizin, trotz Wissens über
Krankheitserreger, den Grund für die Erkrankung in einigen magischen,
außergewöhnlichen Ereignissen.
Die Methoden, die früher das Volk unterentwickelter oder so genannter
Schwellenländer, oder Länder, die die moderne Medizin nicht nutzen konnten,
wenn sie bei Erkrankung keine Möglichkeit für eine ärztliche Behandlung
fanden oder auch aus Glaubensgründen keinen Arzt aufsuchen wollten, zur
Diagnose und Behandlung der Krankheit entwickelten, ließ die Volksmedizin
entstehen, die nach wie vor neben der modernen Medizin ihre Gültigkeit hat.
Eine wichtige Rolle dabei spielt, dass diesbezüglich die
Glaubensauffassungen keiner allzu großen Veränderung ausgesetzt wurden.
In der Türkei, besonders in traditionellen Regionen stößt man auf diese Form
der medizinischen Anwendung noch relativ häufig. Die vom Volk als "kocakarı"
Alte Hexe bezeichneten Personen, die ihre eigenen Behandlungsmethoden
entwickeln, sind im eigentlichen Sinne Volksmediziner. Ihre zubereiteten
Medikamente werden als "kocakarı ilacı" Medizin alter Hexen bezeichnet. Auch
wenn diese Medikamente in ihrer Zubereitung oder Anwendung nicht im direkten
Bezug zur Erkrankung stehen, so zeigen sie doch manche in der Form der
Behandlung oder als Medikament positive Resultate. Diese Volksmediziner
haben ihre Ausbildung von älteren erfahrenen Personen erhalten. Diese
Medikamente werden aus natürlichen Stoffen wie Pflanzen, Tierprodukten oder
Mineralen hergestellt. In den meisten Fällen werden die Kranken zu Hause
behandelt, doch in manchen Fällen ist es notwendig, sie in eine unabhängige
Einheit, eine Art Krankenhaus, das als "halk hastanesi" Volkskrankenhaus
bezeichnet wird, einzuquartieren, wo die Behandlung einige Zeit fortgeführt
wird.
Bei der Zubereitung dieser Medikamente nutzt man meist das Pflanzenvorkommen
der Region. Diese als "şifalı bitkiler" Heilpflanzen bezeichneten Pflanzen
finden in der Türkei eine rege Anwendung. Einige von diesen Heilpflanzen
sind in der Gesellschaft wohlbekannt und finden einen breiten Einsatz,
andere von ihnen sind nur den Volksmedizinern bekannt. An den
pharmazeutischen Fakultäten der Universitäten werden zu diesen Heilpflanzen
und Behandlungsmethoden verschiedenste Untersuchungen durchgeführt, deren
Ergebnisse veröffentlicht werden.
Zwischen der Behandlung und Behandlungstechnik der modernen Medizin und der
Volksmedizin gibt es durchaus auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel wurde das
Schmerzmittel Aspirin durch die Weiterentwicklung von pflanzlichen Stoffen
wie Chinin und Kokain, die in der Volksmedizin zur Behandlung von Schmerzen
eingesetzt wurden, entwickelt. Die Ergebnisse einiger Untersuchungen
beweisen auch, dass einige der vom Volk eingesetzten Pflanzen bei bestimmten
Krankheiten durchaus Heilwirkung haben. Was die Behandlungstechnik der
Volksmedizin betrifft, so finden sich auch hier Ähnlichkeiten mit denen der
modernen Medizin.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass sich heutzutage die moderne Medizin und
die Volksmedizin gegenseitig beeinflussen. Die moderne Medizin versucht
durch diverse Untersuchungen die Gründe für die Erkrankung zu finden und
sucht bei der Behandlung auch Unterstützung seitens der Volksmedizin, was
bei den Behandlungsergebnissen zu besseren Resultaten führt. Auch die
Volksmedizin hat Möglichkeiten gefunden, von diesen Entwicklungen zu
profitieren. In diesem Rahmen werden häufig traditionelle Heilmittel der
Volksmedizin jener der klassischen Medikamente bevorzugt. Im Gegensatz dazu
vertraut das Volk der modernen Medizin nicht, wenn daran geglaubt wird, dass
aufgrund abergläubischer Ereignisse wie "nazar değmesi" Treffen des bösen
Blickes es zu Erkrankungen wie "cin çarpması" Schlaganfall kommt. Bei Asthma
oder Herzerkrankungen nutzt das Volk sowohl die moderne Medizin als auch
gleichzeitig die Volksmedizin. Bei Krebserkrankungen oder einer eine
Operation erfordernden Erkrankung ziehen sich meist die Volksmediziner
zurück und überlassen die Behandlung vollständig der modernen Medizin.
Als Ergebnis kann man sagen, dass in Regionen, die eine sehr traditionelle
Struktur aufweisen, die Krankheitsauffassung des Volkes von der gelebten
Kultur geprägt ist. Durchgeführte Untersuchungen zeigen auf, dass dabei
neben dem Bildungsniveau auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen.
Außerdem wird der Zugang zur modernen Medizin in jenen Gebieten erleichtert,
in denen es gute Verbindungen und Beziehungen zur Stadt gibt. Diese Neigung
zur modernen Medizin kann vor allem bei der jüngeren Bevölkerungsschicht
beobachtet werden. Trotz alledem, ob gebildet oder nicht, ob reich oder arm,
ein Teil des Volkes bevorzugt bei bestimmten Erkrankungen die Volksmedizin
und dazugehörende Elemente, wie "nazar değmesi" Treffen des bösen Blickes,
Wallfahrtsbesuche von Grabmälern und Türben oder spezielle Behandlungen bei
Brüchen und Verrenkungen können nach wie vor häufig beobachtet werden.
Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass eine verstärkte Hinwendung zur modernen
Medizin sowie eine leichte Abwendung von der Volksmedizin verzeichnet werden
kann, wobei diese Hinwendung abhängend von sozi- kulturellen und
ökonomischen Besonderheiten der Region schneller oder langsamer vor sich
geht.
Volksmedikamente
Asthma
Vierzig Tage lang werden rohe Taubeneier auf nüchternen Magen getrunken.
Atemnot
a) Das Wasser gekochter Brennnesseln wird jeden Tag wie Tee getrunken.
b) Schwarzer Rettich wird ausgehöhlt und mit Honig gefüllt. Am Boden
des Rettichs wird ein kleines Loch gebohrt und auf einen Teller gestellt.
Eine Nacht wird gewartet, bis der Honig durch die Öffnung abgetropft ist,
danach wird der Honig gegessen.
c) Die Samenkapsel von Nadelbäumen wird gekocht, das Wasser wie Tee
getrunken.
Bienenstich
a) Auf die Stelle des Bieneneinstiches wird Eis gelegt; ist kein Eis
vorhanden benetzt man die Stelle mit kaltem Wasser oder man schmiert Schlamm
darauf.
b) Ein Bund Petersilie wird zermalt und auf die Stelle des
Bieneneinstiches gebunden.
c) Auf die Stelle des Bieneneinstiches wird zermalter Knoblauch
gestrichen.
Bisse giftiger Tiere
Der Kopf von Zündhölzern wird abgekratzt und auf die Bissstelle gestrichen.
Bronchitis
a) Samen der Flachspflanze werden mit Kandiszucker vermischt und
zermalmt. Diese Mischung wird löffelweise gegessen.
b) Eine Scheibe Brot wird geröstet, in Essig getaucht und auf die
Brust gelegt.
Durchfall
a) In einem Glas Limonade wird ein Aspirin aufgelöst und getrunken.
b) Ein Kaffeelöffel roher Kaffee wird mit Zitronensaft vermischt
getrunken.
c) Ein Teeglas Yoghurt wird mit einem Teeglas Karbonat vermischt und
gegessen.
Ekzeme
a) Über Feuer wird Auberginenpulver mit Henna vermischt. Die Mischung
wird auf das Ekzem gestrichen und verbunden.
b) Pfirsichblätter werden gekocht und das Wasser zehn Tage lang wie
Tee getrunken.
c) Igelfleisch wird gegessen
d) Der Samen von schwarzem Holunder wird geschluckt
Fiebersenkung
a) Ein in Essig getränktes Tuch wird auf die Stirn, den Nacken, Hände
und Füße und Körper gelegt. Dieser Vorgang wird solange wiederholt, bis das
Fieber sinkt.
b) In den Saft einer ausgepressten Zitrone wird ein Aspirin aufgelöst
und auf einige Stellen des Erkrankten, wie z.B. die Stirn, gestrichen.
c) Es wird eine Mischung aus Alkohol, Aspirin und ein bis zwei
Tropfen Olivenöl hergestellt, die auf die Gelenke des Körpers gestrichen
wird.
Fußschmerzen
Steinsalz wird in heißem Wasser aufgelöst und die Füße werden darin zehn
Minuten lang gebadet.
Gelbsucht
Die Stirn oder die Brust des Erkrankten wird mit einem Rasiermesser
eingeritzt.
Gerstenkorn
Auf das Gerstenkorn wird Knoblauch gestrichen.
Grippe
Pfefferminztee oder Lindenblütentee mit Zitrone wird getrunken.
Hämorrhoiden
a) Zermalmter Knoblauch wird auf die Stelle gestrichen. Dieser
Vorgang wird jeden Morgen wiederholt.
b) Der mittlere Teil wilder Rosen wird in Wasser gekocht, das
Rosenwasser wie Tee getrunken.
Haare
Zur Förderung des Haarwuchses wird im Frühjahr durch Abbrechen von
Weinrebenzweigen die dabei von den Zweigen abtropfende Flüssigkeit gesammelt,
mit dieser Flüssigkeit werden die Haare gewaschen.
Hundebiss
Auf die betroffene Stelle wird Brothefe gebunden.
Husten
a) Ein Löffel Honig wird mit einem Löffel Zitronensaft vermischt und
getrunken. Diese Behandlung erfolgt einige Tage, wobei die Mischung morgens
auf nüchternen Magen getrunken werden muss.
b) Ein Apfel, Lindenblüten und die Schale einer Zitrone werden
gemeinsam gekocht. Das Wasser wird morgens auf nüchternen Magen getrunken.
c) Petersilie wird roh gegessen.
Krebs
Brennnesseln werden gekocht (im Sommer frische, im Winter getrocknete
Brennnesseln), das Wasser wird morgens auf nüchternen Magen getrunken.
Knochenschwund
Fischöl wird auf die betroffenen Stellen gestrichen.
Kopfschmerzen
a) Eine rohe Kartoffel wird in Scheiben geschnitten. Auf die Scheiben
wird gemahlener Kaffee gestreut, auf die Stirn gelegt und mit einem Tuch
festgebunden.
b) Zitrone wird in Scheiben geschnitten und mit einem Tuch auf die
Stirn gebunden.
c) Stroh wird mit Henna gemischt und auf die Stirn gebunden und erst
nach einigen Stunden wieder abgenommen.
Magenschmerzen
a) Honig wird mit Milch vermischt und getrunken
b) Alantwurzel (Wurzel des Helenenkrautes) wird in Wasser gekocht,
das Wasser wird wie Tee getrunken.
c) Auf nüchternen Magen wird Sesam- Helva gegessen
d) Warzenkrautblätter werden gekaut und geschluckt
Malaria
Die Pflanze Eupatorium (Kunigundenkraut) wird mit Wasser gekocht, der Sud
wird wie Tee getrunken.
Mandelentzündung
Watte wird in Spiritus oder Alkohol getränkt, schwarzer Pfeffer wird darauf
gestreut und um den Hals gebunden.
Mumps
Rotes Helva (Süßspeise) wird gegessen. Kalk wird auf die Stelle gestrichen.
Nagelgeschwür
Okraschoten werden in Milch gekocht und auf den Finger gestrichen.
Nasenbluten
Eierschalen werden verbrannt bis Asche entsteht. Diese Asche wird bei
Nasenbluten durch Einatmen in die Nase gezogen.
Nierenstein
a) Das Wasser gekochter Mispelblätter wird getrunken und zwar so
lange, bis der Stein abgeht.
b) Jeden Morgen wird das Wasser gekochter Petersilie oder das Wasser
gestandenen Yoghurts getrunken.
Ohrenschmerzen
Ein Tropfen Wasser gekochten Lauches wird in das Ohr getropft.
Rheumatismus
a) Wilde Kastanie wird gemeinsam mit Kandiszucker zermalmt und gegessen.
b) In eine große Wanne wird ein Kanister Gerste gegeben und gekocht.
Danach wird gewartet, dass das Wasser etwas abkühlt. Der Erkrankte wird für
eine Stunde in das Wasser gesetzt. Dieser Vorgang wird einige Tage lang
wiederholt.
c) Der Erkrankte wird für eine Stunde bis zum Hals in Mist von
Hornvieh eingegraben.
d) Selleriewurzeln werden gerieben, ein Glas des entstehenden Saftes
wird getrunken.
Rückenschmerzen
Die schmerzenden Stellen werden mit Honig bestrichen, darüber wird roter
oder schwarzer Pfeffer gestreut und mit einer durchlöcherten Zeitung
abgedeckt. Darüber wird ein Handtuch gelegt. Dieser Verband bleibt die ganze
Nacht darauf. Diese Prozedur wird mehrere Nächte wiederholt.
Schmerzen
a) Wirsingkohlblätter werden gekocht und auf die schmerzenden Stellen
gelegt. Dieser Vorgang wird oftmals wiederholt.
b) Samen der Flachsblume wird solange gekocht, bis es zu Brei wird.
Diesem Brei wird Henn und Naphthaöl (rohes Erdöl) beigegeben und die
Mischung wird auf die schmerzenden Stellen gestrichen. Dieser Vorgang wird
mehrmals pro Tag mehrere Tage lang wiederholt.
c) Trockener Tabak wird klein gerieben und mit einer kleinen Menge
Rakı vermischt, so dass ein cremeförmiger Brei entsteht. Dieser wird wie
eine Wundsalbe auf die schmerzenden Stellen gestrichen.
d) Feiner Sand wird auf Feuer geröstet, darunter mischt man feine
Sonnenblumenkerne und geriebene Oliven. Diese Mischung wird heiß auf die
Schmerzstellen aufgetragen und mit einem Tuch verbunden. Dieser Vorgang wird
drei bis vier Tage lang wiederholt.
Verstauchung
Zwiebel wird gemeinsam mit Salz und Oliven zermalmt. Diese Mischung wird auf
den Fuß gestrichen und verbunden.
Wunden und Abszesse
a) Über die wunden Stellen wird großer Wegerich gebunden. Es können
auch Tomaten oder Kohlblätter verwendet werden.
b) In eine Zwiebel wird ein Stück Seife sowie etwas Ammoniumchlorid
gegeben und gekocht. Nach leichter Abkühlung wird dies auf die wunde Stelle
gebunden.
Wundsein
Schilf wird verbrannt, dessen Asche auf die wunde Stelle gestrichen.
Bauernkalender und
Volksmeteorologie
Der Bauernkalender ist ein kulturelles
Erbe irgendeiner Region, aufgebaut auf die Erfahrungen und Beobachtungen von
Naturereignissen in Verbindung mit gesellschaftlichen Einrichtungen und
Vorkommnissen. Er stellt eine systematische Theorie bezüglich Zeit und Leben
dar, der an religiöse, geschichtliche, Brauchtums-, erzieherische,
abergläubische, rechtliche, landwirtschaftliche, politische und
wirtschaftliche Verbindungen oder Vorkommnisse erinnert. Im Gegensatz zu den
bekannten üblichen Kalendern, unterteilt dieser regionale Bauernkalender das
Jahr in einer anderen Art und Weise und bezeichnet die Wochentage anders als
üblich, wobei manchen Tagen oder manchen Naturereignissen eine gute, manchen
eine schlechte Bedeutung angelastet wird.
Weit verbreitetem Glauben zufolge, führt das Nicht-Befolgen des
Bauernkalenders, der ein Produkt langjähriger Erfahrung und
Wissensansammlung ist, oder ein den Richtlinien Entgegengesetztes Verhalten
zu großem individuellen Schaden. Denn der Bauernkalender stellt das Produkt
natürlicher und kultureller Gegebenheiten dar. Die zeitlichen Bestimmungen
oder Zeiteinteilungen erfolgt in manchen dieser Bauernkalender gebunden an
die sich regelmäßig wiederholenden Naturereignisse. Andere wiederum weisen
stärker auf religiöse Festlichkeiten, gesellschaftliche Beziehungen zu einer
anderen Gruppe, die die Gemeinschaft beeinflusst, Erneuerungen für die
Gesellschaft, Veränderung in der Art und Weise der Produktionsform, Tod
einer angesehenen Person etc. hin und gewinnen so einen eigenen Charakter.
Bei der Erstellung des Bauernkalenders spielen verschiedenste Faktoren eine
Rolle, wobei die Produktionsart und damit verbunden die
Gesellschaftsstruktur, deren Elemente oder Organisationen hervorgehoben
werden können. Den Rahmen des Kalenders bilden meist die
Gesellschaftsstruktur prägende wirtschaftliche Betätigung, die sich um die
Produktionselemente anhäufenden Praktiken, sowie diesbezügliche Fakten und
Glaubensauffassungen. Grundlegend stellt bei der Gestaltung des
Bauernkalenders die wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft prägende
Produktionsform das herausragende Element dar.
In der großteils aus Muslimen bestehenden Türkei werden heutzutage zwei
Kalender verwendet:
1. "Kameri takvim" Mondkalender: Dieser teilt das Jahr in 12 Monate
mit je 29 / 30 Tagen und 354 / 355 Tagen pro Jahr.
2. "Şemsi Takvim" Sonnenkalender: Dieser beruht auf der Drehung der
Erde um der Sonne während 365 / 366 Tagen, der auch von den westlichen
Ländern verwendet wird.
Die Tage traditioneller Volksgebräuche spiegeln sich in beiden Kalendern
wider, wobei religiöse Feiertage im Mondkalender, andere Feiertage oder
Zeremonien im Sonnenkalender berücksichtigt werden.
Neben der offiziellen Monatsbezeichnung werden in diesen Kalendern die
Monate ebenfalls anders bezeichnet. So wird in manchen Regionen der Monat
Februar aufgrund seiner Kürze als “Gücük (küçük)” (klein) bezeichnet. In
manchen Kalendern werden die Monate, in denen Tätigkeiten bezüglich
Landwirtschaft, Viehzucht oder Obstanbau vorrangig sind, mit
dementsprechenden eigenen Namen, die kürzere oder längere Perioden
darstellen, gekennzeichnet. So ist das “Koç Ayı” (Widder-Monat) das Monat,
in dem die Deckung der Schafe erfolgt. “Orak ayı” (Ernte-Monat) hingegen
stellt das Monat der Ernte dar. Im so genannten “Kiraz ayı” (Kirschen-Monat)
werden die Kirschen reif, etc.
In den meisten der Bauernkalender wird das Jahr in zwei Teile unterteilt,
nämlich “kasım” (Winterbeginn) und “hıdrellez” (Sommerbeginn). “Kasım”
beginnt in Übereinstimmung mit dem offiziellen Kalender Anfang des Monats
November und dauert bis “hıdrellez”, also bis zum Monat Mai. “Kasım” stellt
demnach die Jahreszeit Winter dar. “Hıdrellez” hingegen beginnt am 6. Mai,
stellt die Sommer-Jahreszeit dar und dauert bis November, also “kasım”. Die
Winterperiode wird wiederum in drei Monate, die jeweils 45 Tage dauern,
unterteilt: “Kasım”, “Zemheri”, “Hamsin”. Die Winterperiode dauert insgesamt
180 Tage, wobei die ersten 135 Tage, also die Monate “kasım”, “zemheri”,
“hamsin” als “sayılı” oder “hesaplı”, also als zeitlich festliegend
bezeichnet werden. Diese Periode ist die Zeit des strengsten Winters und ist
so gerechnet, damit die Menschen entsprechende Maßnahmen treffen können. Es
verbleiben noch 45 Tage, die die Wintermonate auslaufen lassen. Diese
beginnen am 21. März und enden am 6. Mai. In Anatolien wird diese Periode
mit unterschiedlichen Namen wie “dokuzun dokuzu”, “April beşi”, “leylek
kışı” oder “oğlak kışı” bezeichnet. In den Bevölkerungskreisen, die in der
Landwirtschaft und Viehzucht tätig sind, trägt dieser Bauernkalender eine
lebenswichtige Bedeutung. Um die Tiere und Pflanzen vor klirrender Kälte
richtig schützen zu können, ist es notwendig, die “sayılı”- Periode, also
richtige Winterperiode, zu kennen.
In Gesellschaften, in denen Technik und Technologie noch nicht so weit
fortgeschritten sind, werden aufgrund Jahrhunderte langer Erfahrungen und
Annahmen die Geschehnisse der Atmosphäre vorausgesehen. Der Grad des
Eintreffens der Prognosen liegt dabei sehr hoch. In traditionell
strukturierten Gesellschaften, deren Leben an natürliche Ereignisse stark
gebunden ist, wird der Erfahrung und der Wissensansammlung bezüglich der
Wettervorhersage innerhalb der gesamten Kultur ein großer Stellenwert
beigemessen. Zu wissen bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, wie
die Wetterlage sein wird, bevor man auf Fischfang geht oder bevor man den
Almauftrieb durchführt, ist wichtigste Voraussetzung.
Für Landwirtschaftsgesellschaften ist das Wissen über die Stellung des
Mondes ebenso von großer Wichtigkeit. Zum Beispiel, wenn der Mond in der
Form des Halbmondes ist und sein offener Teil nach oben blickt, wird
angenommen, dass es in kürzerer Zeit beginnt zu regnen. Die Zeit der Saat
wird ebenfalls mit Hilfe der Stellung des Mondes bestimmt. Der erste Zustand
des neu aufgehenden Mondes wird als “ayın aydını” bezeichnet, sein einige
Zeit späterer Zustand als “ayın garangısı”. In den ersten Tagen des neuen
Mondes wird keine Saat ausgesät, man wartet einige Tage ab.
Für den Menschen in den ländlichen Regionen ist die Wettervorhersage für die
Versorgung ihrer Tiere und Pflanzen von großer Wichtigkeit. Zum Beispiel
wird angenommen, dass der Winter sehr streng und hart werden wird, wenn die
Blätter der Pappelbäume an der Spitze beginnend abfallen. Ein harter Winter
wird ebenfalls erwartet, wenn es zu viele Zapfen von Nadelbäumen gibt. Auch
gibt das Verhalten der Tiere Aufschluss über das zu erwartende Wetter.
Sollten zum Beispiel Schafe ihren Kopf Richtung Mekka drehend schlafen, so
wird angenommen, dass es innerhalb kürzerer Zeit Regen geben wird.
Da das Leben negativ beeinflusst wird, wenn der Regen in der entsprechenden
Jahreszeit ausbleibt, wurden entsprechende Zeremonien entwickelt, die den
Regen herbeirufen sollen. Diese Regen-Zeremonien sind eine der reichhaltigen
Schätze unserer Volkskultur. Zwei Arten von Regen-Zeremonien können dabei
unterschieden werden:
- “Regengebete”, die von Erwachsenen in Begleitung von verschiedenen
Praktiken ausgeübt werden
- Spielerische Zeremonien, an denen auch Kinder teilnehmen
Die Regengebete der Erwachsenen werden im Allgemeinen auf offenem Gebiet,
zum Beispiel am Friedhof oder einer Türbe sowie unter Anleitung eines
Geistlichen durchgeführt. Der Geistliche verliest die Gebete, die Anwesenden
nehmen daran teil und am Ende der Gebete werden Opfertiere geschlachtet, die
Speise gemeinsam verzehrt. Bestimmte Anzahl von Steinen werden gesammelt und
auf sie Gebete gesprochen, danach werden die Steine in Wasser geworfen.
Nachdem es genügend geregnet hat, werden diese Steine wieder aus dem Wasser
genommen.
Bei den Regengebeten, an denen Kinder teilnehmen, versammeln sich die Kinder
und wandern von einem Haus zum anderen. Von den Hausbewohnern werden Butter,
Mehl, Zucker etc. gesammelt und daraus Speisen zubereitet. Während dieser
Veranstaltung werden verschiedene Spiele und Vergnügungen inszeniert.
Der Bauernkalender ist ein kulturelles
Erbe irgendeiner Region. Aufgebaut auf die Erfahrungen und Beobachtungen von
Naturereignissen in Verbindung mit gesellschaftlichen Einrichtungen und
Vorkommnissen stellt er eine systematische Theorie bezüglich Zeit und Leben
dar, der an religiöse, geschichtliche, Brauchtums-, erzieherische,
abergläubische, rechtliche, landwirtschaftliche, politische und
wirtschaftliche Verbindungen oder Vorkommnisse erinnert.
Im Gegensatz zu den bekannten üblichen Kalendern, unterteilt dieser
regionale Bauernkalender das Jahr in einer anderen Art und Weise und
bezeichnet die Wochentage anders als üblich, wobei manchen Tagen eine gute,
manchen eine schlechte Bedeutung angelastet wird. Weit verbreitetem Glauben
zufolge, gibt es in diesem Bauernkalender in den Jahreszeiten die das Jahr
unterteilt, in den Monaten, Wochen, Tagen, Nächten oder anderen bestimmte
Zeiten Kräfte, die es notwendig machen sich auf eine bestimmte Weise zu
verhalten, bestimmte Termine nicht zu versäumen und sich bestimmten Regeln
anzupassen. In manchen dieser Bauernkalender erfolgt die Zeiteneinteilung
sehr offen und regelmäßig durch immer wieder auftretende Naturereignisse.
Andere wiederum weisen stärker auf religiöse Festlichkeiten,
gesellschaftliche Beziehungen zu einer anderen Gruppe die die Gemeinschaft
beeinflusst, Erneuerungen für die Gesellschaft, Veränderung in der Art und
Weise der Produktionsform, Tod einer angesehenen Person etc. hin und
gewinnen so einen eigenen Charakter.
Bei der Erstellung von Bauernkalendern spielen viele Einflüsse eine Rolle.
Geographische Einflüsse:
Gebirge, Flüsse, Täler, Flora und Fauna, dort ständig lebende Tiere und
Lebewesen oder Zug- / Wandertiere beeinflussen die Erstellung des
Bauernkalenders.
Klimatische Bedingungen – Jahreszeiten:
In der Türkei gibt es zahllose Beispiele für die Widerspiegelung
klimatischer Verhältnisse und der Jahreszeiten in den verschiedenen
Bauernkalendern. Beispiele dafür sind: „Zemheri“ strenger Winter, 40 Tage
vom 22. Dezember bis zum 30. Januar; "Hamsin" 50 tägige Winterzeit vom 1.
Februar bis 22. März, "Eyyam-ı Bahur" Hundstage; "Cemreler" Wärmeanstieg vom
20. Februar bis 6. März; in drei Abschnitten: zuerst in der Luft, dann im
Wasser, zuletzt im Boden; "Mart Dokusu" Frühjahrsäquinoktialsturm, gegen 21.
März; "Kocakarı soğukları" einwöchige Kälteperiode vom 11. – 18. März;
"Hıdrellez" Sommeranfang am 6. Mai; "Ekim zamanı" Zeit der Saat; "Hasat
zamanı" Erntezeit; "Bağbozumu" Weinlese; ....
Naturereignisse:
Auch Ereignisse wie Epidemien und Seuchen, an denen viele Menschen und Tiere
gestorben sind, Überschwemmungen, Trockenperioden, Erdbeben wie z.B. von
Erzincan und Gediz etc. spiegeln sich in diesen Kalendern wieder.
Himmelsereignisse:
Die Formen des Mondes, Sterne, Sternansammlungen, Sternschnuppen nehmen in
manchen Bauernkalendern Platz ein. Glaubensauffassungen und spezifische
Praktiken in den Regionen bezüglich des Polarsternes, des Siebengestirnes,
Sonnen- oder Mondfinsternis sind diesbezügliche Beispiele.
Religiöse Einflüsse:
In den Bauernkalender gehen religiöse Ereignisse, deren Wurzeln im Islam zu
finden sind, wie z. B. "kandil gecesi" (best. Religiöse Feiernächte),
heilige Monate, aber auch Pilgerfahrten und Ereignisse die Segen bringen,
ein.
Wirtschaftliche Einflüsse:
Die wirtschaftliche Beschäftigung die die gesellschaftliche Struktur
bestimmt, Praktiken die sich um die Produktion und Anbau drehen, die
diesbezüglichen Gebräuche und Glaubensauffassungen bilden das Grundgerüst
des Bauernkalenders. Das beste Beispiel dafür ist wohl dass in manchen
Regionen die Monate unterschiedlich bezeichnet werden. "Döl tökümü" Besamung
– März, "Cift ayı" Paarungsmonat – April, "Göç ayı" Wanderungsmonat – Mai,
"Kiraz ayı" Kirschenmonat – Juni.
Gesellschaftliche Ereignisse:
Revolutionen, Parteiführungen, Sieger und Besiegte, Wanderungen und ähnliche
gesellschaftliche Ereignisse finden ebenfalls ihren Platz in den
Bauernkalendern.
Bezeichnung von Tagen, Wochen und Monaten
In dem Großteil der muslimischen Türkei werden heutzutage zwei Kalender
verwendet:
1. "Kameri takvim" Mondkalender: Dieser teilt das Jahr in 12 Monate mit
je 29 / 30 Tagen und 354 / 355 Tagen pro Jahr.
2. "Şemsi Takvim" Sonnenkalender: Dieser beruht auf der Drehung der
Erde um der Sonne während 365 / 366 Tagen, der auch von den westlichen
Ländern verwendet wird.
Die Tage traditioneller Volksgebräuche spiegeln sich in beiden Kalendern
wider, wobei religiöse Feiertage im Mondkalender, andere Feiertage oder
Zeremonien im Sonnenkalender berücksichtigt werden.
Wichtige Ereignisse der Vergangenheit, die einschneidende Veränderungen für
die Gesellschaft gebracht haben, werden dabei ebenfalls aufgenommen:
Mobilisierung (1914 – 1918, Erster Weltkrieg), 93er Schlacht (1876),
Balkankrieg (1912), Erdbeben von Erzincan (1939), ...
Tag und Nacht bezeichnet die Zeitspannen zwischen Sonnenauf- und
-untergang. Der Unterschied zum Westen besteht darin, dass der Tag mit dem
Sonnenuntergang am Abend beginnt: z. B. beginnt der Freitag nach dem
Sonnenuntergang am Abend des Donnerstag und dauert bis zum Sonnenuntergang
des Freitagabend.
Neben den offiziellen Bezeichnungen der Wochentage gibt es auch in manchen
Gebieten und Provinzstädten besondere Bezeichnungen für diese. So wird z.B.
im Landkreis Çal der Provinz Denizli "perşembe" Donnerstag als "cuma akşamı"
Abend vor dem Freitag; Anm.: bis 1935 war der Freitag offizieller Feiertag),
"pazar" Sonntag als "gireği" bewölkt, "çarşamba" Mittwoch als "ışıklı"
beleuchtet bezeichnet. Die Verwendung solch unterschiedlicher Bezeichnungen
in diesem Gebiet, in dem der Handel eine wichtige Rolle spielt, ist auf die
Ortsbezeichnungen an denen ein Markt abgehalten wird zurückzuführen.
In einer Gesellschaft die auf Landwirtschaft und Viehhaltung ausgerichtet
ist, wird der Kalender so gestaltet dass die Jahreszeiten und über die Jahre
gesehen die Unterteilung der Jahreszeiten so angelegt sind dass diese
jeweils mit den gleichen Wetterbedingungen übereinstimmen. In dieser
Hinsicht ist der Volkskalender dem Sonnenkalender sehr ähnlich; sie basieren
auf dem gleichen Prinzip. Nur in der Bezeichnung und Teilung der Monate
können Unterschiede gesehen werden, die auf verschiedene Einflüsse
zurückzuführen sind. Z.B. besteht im Landkreis Çal der Provinz Denizli jede
Jahreszeit aus eineinhalb Monaten, demzufolge wird das Jahr in acht Monate
untergliedert.
Frühling: "Mart" März - 22. März / 5. Mai
"Hıdrellez" Sommeranfang - 5. Mai / 21. Juni
Sommer: "Gündönümü" Periodische Wiederkehr eines best. Tages - 22.
Juni / 13. August
"Ağustos" August - 14. August / 21. September
Herbst: "Güz" Herbst - 22. September / 5. November
"Kasım" November - 6. November / 21. Dezember
Winter: "Zemheri" Strenger Winter - 22. Dezember / 31. Januar
"Karakış" Tiefster Winter - 1. Februar / 21. März
In Giresun werden die Monate wiederum anders bezeichnet:
"Zemheri" Ocak/Januar, "Gücük" Şubat/Februar, "Mart" Mart/März, "Abrul"
Nisan/April, "Mayıs" Mayıs/Mai, "Kiraz" Haziran/Juni, "Orak" Temmuz/Juli,
"Ağustos" Ağustos/August, "Haç Ayı" Eylül/September, "Avara" Ekim/Oktober,
"Koç Ayı" Kasım/November, "Karakış" Aralık/Dezember. In den meisten
Bauernkalendern wird einer oder ein Teil der Wintermonate als "Karakış"
tiefer, strenger Winter bezeichnet und beinhaltet damit die dunklen,
negativen Bedeutungen des Wortes "kara" dunkel, schwarz. Diese Periode
bezeichnet jene Zeit, in der der Bauer keiner Arbeit nachgehen kann und
gleichzeitig mit vielen Problemen beladen ist. Die Periode, die als "Avara"
untätig, träg bezeichnet wird, ist jene Zeit, in der die Feldarbeit beendet
wurde und der Bauer sozusagen viel freie Zeit hat.
In vielen regionalen Kalendern wurde der Monat Februar durch die Tatsache
seiner Kürze im Vergleich zu den anderen Monaten mit dem Namen "Gücük" kurz
bezeichnet. Die Monatsnamen wurden auch von Tätigkeiten des Bauern bezüglich
Saat, Tier- und Obsthaltung beeinflusst: "Koç Ayı" November Monat, in dem
die Deckung der Schafe erfolgt; ("Koç" = Schafbock), "Orak ayı" Monat der
Getreideernte, "Kiraz ayı" Monat der Kirschenernte, ...
In den anatolischen Kalendern werden mit Redensarten wie "Koç katımını"
Deckung der Schafe, "döl dökümü" Samenerguss, Befruchtung, "kuzu ayı" Monat
des Schäfchens (in Kars für den Monat März verwendet) bestimmte
Untergliederung der Jahreszeiten angezeigt. Diese Zeitperioden stimmen nicht
unbedingt mit den Perioden und Monaten des offiziellen Kalenders überein.
Die gebräuchlichste Regel das Jahr in Jahreszeiten zu unterteilen: Das Jahr
wird in zwei Teile, nämlich ‚"kasım" November= Winteranfang und "hıdrellez"
Sommeranfang, eingeteilt. "Kasım" beginnt in Übereinstimmung mit dem
offiziellen Kalender am Anfang des Monats November und dauert bis zum 6. Mai.
"Hıdrellez" beginnt am 6. Mai und dauert bis zum November.
In den östlichen Regionen Anatoliens, aber auch in anderen Regionen,
besonders in den alewitischen Gesellschaften beginnt das Jahr mit dem
"nevruz", eigentliches persisches Neujahrsfest am 22. März, nach altem
Kalender am 9. März. Dieses Datum wurde in vielen Kulturen durch den Beginn
des Frühlings als Jahresbeginn gewertet. In der ostanatolischen Tradition
glaubt man teilweise daran, dass der Tag des "Nevruz" jener ist, an dem der
Prophet Noah von seiner Arche gestiegen und mit seinem Gefolge vom Gipfel
des Berges Ağrı in die Sürmeli Schlucht hinab gestiegen ist. Nach dem
Glauben der "Narlıdere Tahtacılar" Bez. für Alauiten in Narlıdere, ist
Nevruz jener Tag, an dem der Heilige Ali geboren wurde. Mit dem "Nevruz"
beginnen die Sommertage. Gott habe die Sommertage lang geschaffen, um "nicht
zu Ende gehende Arbeiten" fertig stellen zu können, die Wintertage kurz
geschaffen, um mit dem "nicht ausreichenden Essen" auszukommen. Außerdem
glauben die "Tahtacılar", dass der Heilige Ali an einem Freitag geboren
wurde.
In vielen Gebieten Anatoliens werden manche Tage, vom Winter zum Sommer hin
verlaufend und je ein Monat überspringend, mit Zahlen bezeichnet: "dokuza"
neuner, "yediye" siebener, "beşe" fünfer, "üçe" dreier, "bire" einer.
In Gaziantep bezeichnen diese Tage, beginnend mit neun, folgenderweise die
Periode: "yediye" Ende Januar, die ersten drei Wochen des Februars, "beşe"
Ende Februars und drei Wochen des März, "üçe" Ende März und die erste Woche
des April, "bire" Ende April und die erste Woche des Mai. Diese Redensweisen
und Bezeichnungen mit Zahlen, also "dokuza", "yediye", .... zeigen, wie
viele Tage es noch bis zum neuen Monatsanfang sind. Diese Tradition des
türkischen Bauernkalenders wurde in einem im Jahre 1551 geschriebenen "Arabisch
/ Türkisch" Wörterbuch des Osmanischen Reiches festgestellt. Darin wurde für
den Monat Dezember die Redewendung "dokuza" verwendet.
Die Unterteilung des Jahres steht auch in Beziehung zu den Sternen. Der
Plejadenstern ist ab Novemberbeginn am Himmel sichtbar, ab dem Mai
"Hıdrellez" wieder nicht mehr.
Ein anderes Beispiel für die regionale Bezeichnung von Wochentagen: Dorf
Dişkaya bei Uşak (deutsch) (türkisch) (regionale Bezeichnung)
Sonntag: (Pazar) Girey
Montag: (Pazartesi) Gula Bazarı (Markttag von Gula)
Dienstag: (Salı) Gula Bazar Ertesi (Tag nach dem Markt von Gula)
Mittwoch: (Çarşamba) Eşme Bazarı (Markttag von Eşme)
Donnerstag: (Perşembe) Cumaşamı (Abend vor Freitag)
Freitag: (Cuma) Cuma
Samstag: (Cumartesi) Cumartesi
Eines der wichtigsten Elemente der
Volkskultur ist die Volksökonomie, die als wichtigstes Kennzeichen der
kulturellen Struktur gilt.
In den ländlichen Gebieten des anatolischen Lebens ist das wirtschaftliche
Leben großteils auf Landwirtschaft und Tierhaltung ausgerichtet.
Alle Anstrengungen und Unternehmungen, die durchgeführt werden, um den
Lebensunterhalt des Volkes zu sichern, wird als Volksökonomie bezeichnet.
Die Volksökonomie beeinflusst das Leben, angefangen von der Volksarchitektur
bis hin zum religiösen oder abergläubischen Leben und wirkt insofern als
bestimmender Faktor auf die kulturelle Struktur.
Als Ausläufer der Volksökonomie können Viehhaltung, Imkerei, Almbetrieb,
Arbeit in der Fremde, Jagd, Handwerk und Gewerbe bezeichnet werden.
Mit untenstehenden Beispielen wird aufgezeigt, in welcher Weise sich die
Volksökonomie in Glaubensauffassungen widerspiegelt:
- Im Monat April wird im Garten der Samen gesät. Ungefähr einen Monat vor
dieser Tätigkeit wird jeweils ein Samenkorn der Samen, die sich im Haus
befinden, ausgelegt; somit in diesem Jahr eine reiche Ernte erzielt werden
wird.
- Bevor der Samen im Garten gesät wurde, gibt man den Nachbarn keinen Samen;
damit der Wohlstand des Hauses nicht negativ beeinflusst wird.
- Zuerst wird im Garten der Samen eines süßen Lebensmittels gesät, Samen von
Pfeffer etc. wird nicht gesät; damit der Geschmack des Mundes nicht verloren
geht.
- Eine Frau, die ihre Menstruation hat, darf keinen Samen streuen, keine
Pflanze setzen; damit der Ertrag des Produktes nicht negativ beeinflusst
wird.
- Im Monat Mai wird den Kühen ein farbiges Band an den Schwanz gebunden;
damit die Kühe genügend Milch haben.
- Wenn es Hagel gibt, gehen die Älteren vor das Haus: gemeinsam mit dem
Donnern des Himmels singen sie laut mit den Händen schwingend:
"Möge meine Butter schnell reif werden".
- Drei Tage vor Feiertagen und während der Feiertage werden keine Äste und
Zweige geschnitten, da man sagt "die Äste verrichten ihre Gebete".
- In der Neujahrsnacht wird ein Ochse in das Haus gebracht. Wenn der Ochse
das Haus mit dem rechten Fuß zuerst betritt, so bedeutet dies Segen für das
kommende Jahr.
- In der Neujahrsnacht schleudert die Hausfrau einzelne Bohnen an die Wände
des Hauses; damit im Hause Wohlstand und Segen herrsche.
- Es werden Regengebete verrichtet, um den Regen herbei zu bitten und damit
den Ertrag der Ernte zu erhöhen. In Gebieten, in denen es sehr viel regnet,
werden auch Regengebete zum Stillstand des Regens ausgesprochen.
- Am Morgen des neuen Jahres wird aus der Dachrinne Wasser geholt. Wer
zuerst dieses Wasser bringt, wird reich werden.
- Vier bis fünf Tage vor Neujahr wird die Mühle hergerichtet und die
Mehlgefäße gefüllt in dem Glauben, wenn man mit vollen Gefäßen das neue Jahr
beginnt, werden diese das ganze Jahr über nicht ausgehen.
Die Anwendung von selbst entwickelten
Maβeinheiten, die das anatolische Volk im Alltag, z.B. beim Einkauf, Tausch
Angelegenheiten, Rechnung erstellen etc. einsetzt, wird als Volksmathematik
bezeichnet.
Dabei werden vom Volk vorwiegend Gegenstände, die in der Hand gehalten
werden können, als Maßeinheiten herangezogen.
Beispiele:
- "bir kalbur" - großes Sieb für Getreide Ungefähr 5 – 6 kg)
- "bir yarım" - ein Halbes 16 kg
- "bir şinik" - altes Getreidemaß Ungefähr 10 Liter
- "bir okka" - türk. Gewicht = 400 dirhem 1283 g
- "iki tas" - Schale zwei Tassen voll
- "bir tekne" - Back- oder Waschtrog einen Back- oder
Waschtrog voll
- "bir maşraba" - Metallkrug z. Wasserschöpfen einen Metallkrug voll




