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Volkskunde

 

Alltagsleben

 

Als Alltagsleben kann die Gesamtheit aller Anstrengungen gesehen werden, mit denen in einer Niederlassungseinheit das Leben jedes einzelnen Familienmitgliedes durch gegenseitige Zuerkennung von Rechten und Aufgaben geregelt wird.

Das tägliche Leben in Anatolien beginnt mit dem Sonnenaufgang und endet mit dem Sonnenuntergang. Die Aufgaben, die in dieser Zeitspanne den Eltern und Kindern zufallen, sind durch Traditionen und Gewohnheiten sowie Sitten und Bräuchen, die von der Vergangenheit bis heute aufrechterhalten wurden, festgelegt. Allerdings können durch den Wandel der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur einige Veränderungen festgestellt werden, die sich auf das Aufgabenfeld des Einzelnen, wenn auch nicht inhaltlich so doch in seiner Form, auswirken.

 

Brauch - Sitte - Tradition - Gewohnheiten
 

Brauch

Als Bräuche können Gruppen von beispielhaftem Verhalten und Vorgehen bezeichnet werden, die oftmals die strengen Erwartungen der Gesellschaft charakterisieren. Bräuche stellen gleichzeitig auch Bausteine des Fundamentes, das das Wertsystem der Gesellschaft ausmacht, dar. Je nach Gesellschaftsstruktur begründet dieses Wertsystem besondere Rechtsregelungen. Bräuche haben die Funktion Beziehungen, Verhaltensweisen und Einstellungen des Individuums dem Einzelnen, der Familie, den Nachbarn und Verwandten gegenüber, sowie dem Volk und der Nation gegenüber zu regeln und zu bestimmen. Bräuche, die jedes einzelne Gesellschaftsmitglied ständig unter einen gewissen Druck setzen und denen Zwang und Verbote eigen sind ermöglichen die Anpassung des Individuums an die Gruppe oder Gesellschaft. Auf der anderen Seite tragen einige geschlechts-, alters-, klassen- und berufsspezifische Bräuche Funktionen wie Aufrechterhaltung der Bindung, Schutz, Festigung und Kontrolle. In manchen Gesellschaften wird das Missachten von Bräuchen mit der Missachtung von Gesetzen gleichgestellt. Manches mal wird dies sogar schwerer gewertet, als eine Gesetzesmissachtung und das Individuum wird mit einem strengen und unverzeihlichen Verhalten bestraft.

Sitte

Ebenso wie Bräuche organisieren, regeln und kontrollieren auch Sitten eine Vielzahl von sozialen Beziehungen. Sie beeinflussen die Regelmäßigkeit des gesellschaftlichen Lebens und die Anwendung bestimmter Regeln. Als Beispiel dafür können die Verabschiedungs- und Geleitzeremonien oder Willkommenszeremonien ebenso genannt werden wie die Essens- und Tischordnung, Feierlichkeiten und Zeremonien bei Wendepunkten des Lebens, Verlobungs- und Hochzeitszeremonien, die Beziehungsformen unter Berufsgruppen, Begrüßungsformen, Regeln bei der Nachfrage des Befindens zu bestimmten Anlässen, Verhaltensweisen bei Feiertagen, Jahreszeiten oder bestimmten wichtigen Tagen, Anteilnahme an der Trauer und Kondolenzbesuche. In den Bereich der Sitte fallen alle Regeln und Worte, die mit o. g. Situationen in Verbindung stehen sowie die Regeln zur Überreichung von Geschenken und dementsprechende Verhaltensweisen.

Ursprung und Form der Sitten gehen auf verschiedene Wurzeln zurück. Lebensformen vergangener Zeiten, Weltanschauung sowie interessante Zufälle und Ereignisse nehmen dabei eine wichtige Stelle ein. Wie es in einer Gesellschaft Sitten gibt, die für die gesamte Gesellschaft Gültigkeit haben, so gibt es auch unter kleineren Gruppen wie Berufsgruppen, ethnischen Gruppen etc. eigene spezifische Sitten. Die Verantwortung für die gewohnheitsmäßige Praktizierung dieser Sitten übernehmen dabei unbewusst oder bewusst bestimmte Alters- oder Geschlechtsgruppen, religiöse Führer, Vereinsführer etc. Einig dieser Sitten besitzen eine relativ stabile, unbeeinflussbare Eigenschaft, andere dagegen verändern sich im Laufe der Zeit. Ein Teil der Sitten versucht mit den großen Veränderungen der Gesellschaft mitzuhalten und ändern dabei ihre Form und Eigenheit, man kann sogar sagen ihre Charakteristik. Ein Teil hält seine grundlegenden Elemente aufrecht und ein Teil ähnlich lebender Organismen wird den Änderungen der Zeit nicht widerstehen können und eines Tages gänzlich verschwinden.

Tradition

Weit betrachtet versteht man unter Tradition das von einer auf die nächste Generation übertragene Wissen, Vorstellungen, Aberglauben und Lebensform, man kann sagen, es beinhaltet alles, was nicht von materieller Natur ist. In enger Betrachtungsweise versteht man unter Tradition die Ansichten einer Gesellschaft über Traditionen hinweg zu bestimmten wichtigen Themen wie z.B. heilige oder religiöse Angelegenheiten oder Politik. Traditionen können in zwei Gruppen, nämlich mündliche und schriftliche Traditionen eingeteilt werden. Ähnlich wie Sitten, aber wesentlich stärker und einflussreicher organisieren und kontrollieren sie das gesellschaftliche Leben. Traditionen haben im generellen eine konservative Eigenschaft und beeinflussen gesellschaftliche Regeln auf bestimmten Gebieten wie Familie, Recht, Religion und Politik. Wissenschaft und Kunst stehen weniger unter dem Einfluss von Traditionen. Wenn sich ein Individuum gegen seine Gruppe oder den Traditionen der Gesellschaft auflehnt, können die Reaktionen von Angriffen auf die Person verächtliche Betrachtung bis hin zur Verspottung verschiedenste Dimensionen annehmen. Wie auch bei Bräuchen so gibt es auch bei Traditionen Arten, die durch Gesetze geregelt werden. Diese Gesetze versuchen die Traditionen und die Strafen für das Auflehnen diesen gegenüber in ein gewisses Maß zu drängen. Im Allgemeinen regeln Traditionen jedoch ein größeres Verhaltensumfeld als Gesetze.

Gewohnheit

Vergleicht man die Gewohnheit mit Bräuchen, Sitten und Traditionen, so ist ihre Durchsetzungskraft wesentlich geringer. Während beim Brauch die Durchführungspflicht und bei der Sitte und Tradition die Durchführungsbesonderheit vorherrscht, so trägt die Gewohnheit die Besonderheit der Durchführungsmöglichkeit. Einfach ausgedrückt, die Gewohnheit umfasst zwar auch notwendige und passende Verhaltensweisen, verlangt aber nicht unbedingt, dass diese auch durchgeführt werden. Gewohnheiten haben häufig noch nicht den Stand einer Sitte erreicht und nehmen sehr leicht je nach Entwicklung der Gruppe oder Gesellschaft neue Verhaltensweisen an. Genauso wie diese andauern können, können diese jedoch auch wieder einfach aufgegeben werden. Gewohnheiten spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation des täglichen Lebens, bei der Verringerung von Reibungen zwischen Individuen und bei der Erleichterung gesellschaftlicher Beziehungen. Sie helfen im sozialen Verhalten wie Besuch von Nachbarn oder Kranken, beim Einkauf, beim Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei Begrüßungsformalitäten Beziehungen ordnungsgerecht aufrechtzuerhalten und richtige Verhaltensweisen zu wählen.

 

Traditionelle Einrichtungen - Orden - Religiöse Traditionen
 

Traditionelle Einrichtungen – Orden

Die Chorasan Derwische, zu denen auch der große türkische Denker Hacı Bektaş-ı Veli zählt haben gemeinsam mit den in Anatolien lebenden christlichen Gruppen und den nach Anatolien emigrierten turkmenischen Gruppen mit ihren erzieherischen und gestalterischen Aktivitäten einen kulturellen Schmelztiegel geschaffen und eine wichtige Rolle zur Entstehung der kulturellen Einheit Anatoliens und einer zentralen Autorität gespielt. Ein Teil der durch Wanderung oder Migration nach Anatolien kommenden Derwische hat sich in Bergen, andere wiederum haben sich an verlassenen Wegkreuzungen niedergelassen. Sie haben dort Derwischklöster errichtet, die sich mit der Zeit zu wichtigen kulturellen, gestalterischen und religiösen Zentren entwickelten. Auf diese Weise verbreiteten sich religiöse Einrichtungen in allen Himmelsrichtungen. Regeln für Sitte und Anstand, Verhalten und Glauben wurden standardisiert, Wissen und Wissenschaft wurde in diesen Zentren produziert und gelehrt. Diese wurden von Führern unterstützt, die sich in den Dörfern der Derwische ansiedelten und mit der Bodenbebauung und Erziehung beschäftigt waren. Den Derwischen wurden einige Privilegien zugestanden. Als Ergebnis wurden in den abgelegenen Winkeln Anatoliens Derwischklöster errichtet und durch deren Bildungseinfluss begann sich eine neue kulturelle Struktur herauszukristallisieren. Einer mit diesen Zielen nach Anatolien kommenden Chorasan Derwische war Hacı Bektaş-ı Veli. Hacı Bektaş-ı Veli wurde 1248 v. Chr. in der Stadt Nişabur des iranischen Chorasan geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Chorasan. Im Zentrum Hoca Ahmet Yesevi’s erhielt er Unterricht in Philosophie, Sozial- und Naturwissenschaften. Nachdem er den Iran, Irak und Arabien bereist und untersucht hat, kam er 1275/80 v. Chr. nach Anatolien und ließ sich in dem damaligen Sulucakarahöyük, dem heutigen Hacı Bektaş, nieder. Zu diesem Zeitpunkt wurde Anatolien einerseits von der mongolischen Besetzung unterdrückt, auf der anderen Seite erlebte es gemeinsam mit politischen und wirtschaftlichen Krisen einen großen Thron-Streit. In einem solchen Umfeld siedelte sich Hacı Bektaş-ı Veli in Sulucakarahöyük an, entwickelte hier seine Philosophie und begann, Schüler auszubilden. Sein Gedankensystem, das auf Menschenliebe und Toleranz aufbaut, erreichte innerhalb kürzester Zeit die Massen des Volkes des christlichen Kappadozien, die sich diese Lehren aneigneten.

• Das Ende des Weges, der nicht über Wissen und Kenntnis führt, wird dunkel sein

• Lehrt die Frauen

• Kontrolliere deine Hände, Lenden und Zunge!

• Das größte Buch, das zu lesen ist, ist der Mensch,

• Ehrlichkeit ist die Tür zur Freundschaft,

• Lehren, den richtigen Weg weisen, bedeutet nicht zu nehmen, sondern zu geben

• Die Welt befindet sich im Menschen, der Mensch in der Welt

• Wissen ist das Licht, das die Wege zur Wahrhaftigkeit erleuchtet

• Das Ende jener, die nicht den Weg der Erkenntnis gehen, ist dunkel

• Unser Weg wurde auf Wissen, Bildung und Menschenliebe gebaut

• Halte das Haus, in dem du wohnst, sauber, und werde dem Geld, das du verdienst, gerecht

• Auch wenn du gekränkt bist, so beleidige, kränke niemanden

• Kein Volk und kein Mensch darf missbilligt werden

• Wie glücklich kann sich jener zählen, dem in seinem Trübsal oder seiner Ausweglosigkeit ein Licht gezeigt wird

• Suche, dann findest du

• Die Größe des Menschen ist die Schönheit seiner Worte

• Vergesst nicht, dass ihr, eingeschlossen des Feindes, Menschen seid

• Die größte Gnade (Heiligste) ist Arbeit

• Bei einem Gespräch fragt man nicht nach Frau und Mann

• Alles was Gott erschaffen hat, hat seinen Sinn

• In unserer Theorie gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau

• Mangel und Fehlerhaftigkeit gibt es nur in deiner Ansicht.

Die Grundlage seiner Philosophie liegt in der Existenz des Menschen und der Menschenliebe. Diese Weltansicht spiegelt sich auch in der Deklaration der Menschenrechte des Jahres 1948 wider. Die Gedanken von Hacı Bektaş-ı Veli wurden ca. 600 Jahre nach ihm im Jahre 1923 von Mustafa Kemal Atatürk zur Sprache gebracht, indem eine laizistische, demokratische und die Menschenrechte achtende Republik gegründet wurde. Obwohl die Gründung dieser Philosophie so lange zurückliegt, haben seine Gedanken ihre Gültigkeit bewahrt und fahren fort, den menschlichen Weg zu erleuchten.

"Lebhaftigkeit liegt im Granatapfel, nicht im Haar
Heiligkeit liegt in der Jacke, nicht in der Kopfbedeckung*
Was auch immer du suchst, suche es in dir
Nicht in Jerusalem, Mekka oder auf der Pilgerfahrt."

* (Jene, die eine Pilgerfahrt durchgeführt haben, zeichnen sich mit einer bes. Kopfbedeckung aus.)

"Religionsunterschiede hervorzuheben ist nutzlos. Religionen führen zu Meinungsdifferenzen und Streit zwischen den Menschen. Eigentlich sind Religionen dazu da, auf der Welt Frieden und Brüderlichkeit zu verbreiten." Diese Ansicht von Hacı Bektaş-ı Veli ist die zentrale Aussage seines Werkes "Velayetname". Der Bektaschi- Orden, der sich aus dem Gedankensystem von Hacı Bektaş-ı Veli gegründet hat, beruht auf der Einheit "Kosmos-Gott-Mensch", der wiederum Liebe als Fundament dient. Der Mensch ist eine Existenz der Liebe. Der Mensch ist ausgestattet mit göttlichen Eigenschaften. Die erste Stufe des Erfolges ist das sich Selbst-Kennen und Selbst-Lieben des Menschen. Denn der Mensch trägt in sich einen göttlichen Kern, demzufolge liebt der Mensch Gott, wenn er sich selbst liebt. Die Gottesliebe der Bektaschi wird in dem untenstehenden Vierzeiler besonders schön ausgedrückt:

Die Schüler bearbeiten einen Stein

Und zeigen ihr Werk dem Meister

....

Bei jedem Stück des Steines.
 
Der Mensch stellt in seinem Lebensumfeld eine unabhängige Existenz dar. Seine Aufgabe besteht darin, bescheiden zu handeln, keine Schuld auf sich zu laden, zu reifen, sich nicht hervorzuheben und sich mit der Liebes Gottes zu füllen. Der menschliche Körper ist nur ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Darum ist es der größte Fehler, die Menschen aufgrund ihres Frau- oder Mannseins zu unterscheiden oder auf sie aufgrund ihrer sozialen Stellung oder Rasse herabzuschauen. Alle Menschen, alle Männer und Frauen sind gleich. Die Philosophie von Hacı Bektaş-ı Veli wird bis heute aufrechterhalten und jedes Jahr am 15. – 17. August wird in der Kreisstadt Hacıbektaş, gehörend zum Bezirk Nevşehir, er und seine Philosophie mittels eines großen Festes gefeiert.
Eine der Einrichtungen, die zur Gestaltung der kulturellen Einheit in Anatolien beigetragen haben ist die „Ahilik“ (Name einer anatolische, mittelalterlichen Gemeinschaft, die sich spezial aus Handwerkern, Gewerbetreibenden und Bauern zusammensetzte und kollektive wirtschaftliche und kulturelle Ziele verfolgte). Die gemeinsam mit den Yesevi Derwischen nach Anatolien kommenden Ahiler ließen sich vorwiegend aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in städtischen Gebieten nieder. Ahilik ist neben einer berufsspezifischen Gemeinschaft auch eine mystische Organisation, die verschiedenste Bräuche und mystische Zeremonien lebte. Das diese Organisation der Ahilik zu einer einflussreichen Kraft in Anatolien wurde, ist auf die Unterstützung von Ahi Evran Veli, einer der Chorasan Derwische wie Hacı Bektaş-ı Veli, zurückzuführen. Die Frau von Ahi Evran, Fatma Bacı, ist als "Kadın Ana" (Mutterfrau) bekannt. Sie gründete die erste Frauenorganisation der Welt unter dem Namen "Bacıyan-ı Rum". Unter dem Scheichtum von Ahi Evran verbreiteten sich im 13. Jahrhundert die in Ankara und Kırşehir versammelten Ahiler binnen kürzester Zeit in den seldschukischen Städten. Die Ahiler haben bei der Gründung des osmanischen Staates eine ziemlich wichtige Rolle gespielt. Manchen Quellen zufolge sollen sich der Gründer der Osmanen, Osman Gazi, sein Sohn Orhan Gazi und der 3. Sultan Murad I. unter den Reihen der Ahiler befunden haben.

Das wichtigste Prinzip der Ahilik ist, dass alle Mitglieder der Organisation gleichwertig sind. Sie werden alle als Brüder angesehen. Nur hinsichtlich der Stufen Reihenfolge gibt es eine Ehrerbietung der Jüngeren den Älteren gegenüber. Um Mitglied zu werden, genügt es, von einem bereits bestehendem Mitglied vorgeschlagen zu werden. Personen, die sich mit herabsetzenden Tätigkeiten beschäftigen, von ihrer Umgebung als negativ betrachtet werden und von denen angenommen wird, dass sie der Gemeinschaft schlechte Worte und Unruhe bringen, können nicht als Ahi (Mitglied der Ahilik) aufgenommen werden. Zum Beispiel Menschen, die einen Mord begangen haben, Tiere töten (Schlachter), Diebe, Ehebrecher etc. werden nicht in die Gemeinschaft aufgenommen. Der Eintritt in die Gemeinschaft geschieht wie bei dem Bektaschi- Orden mittels einer speziellen Zeremonie. Bei dieser Zeremonie wird dem Anwärter ein Leibgürtel umgebunden und er wird ermahnt, allen Menschen gegenüber Liebe zu verbreiten, ihnen Ehrfurcht darzubieten und nicht vom rechten Weg abzukommen. Von den Mitgliedern wird eine klare Verbundenheit und der Gemeinschaft gegenüber endloser Gehorsam gefordert. Religionslose dürfen der Organisation nicht beitreten, aber auch "sofu" (jene die kirchliche Vorschriften genau befolgen) werden nicht aufgenommen. Auch in der Gemeinschaft der Ahilik, ähnlich dem Bektaschi- Orden, werden bestimmte Stufen oder Phasen durchlebt, die durch Wissenserwerb, Geduld, Säuberung der Seele, Loyalität, Freundschaft, Nächstenliebe erreicht werden. Neben dem Erwerb dieser Eigenschaften gibt es im Ahilik sechs grundlegende Prinzipien:

1. Halte die Hand geöffnet (sei großzügig, freigiebig)

2. Halte deinen Essenstisch offen (teile deine Speisen)

3. Halte deine Tür offen (sei gastfreundlich)

4. Halte deine Augen verschlossen (sieh nicht unbedingt jede negative Kleinigkeit eines Menschen)

5. Sei Herr über deine Lenden (sei kein Ehebrecher)

6. Sei Herr über deine Worte (sei wahrhaft und belehrend)

Im Ahilik werden bestimmte Phasen durchschritten. In diesen Phasen werden den Schülern berufliche Fähigkeiten, mystisches und religiöses Wissen, Lesen und Schreiben, Türkisch, Arabisch, Persisch, Musik, Mathematik und militärisches Wissen durch die "Fütüvvetname", eine Art Verfassung der Organisation, gelehrt. In der Organisation der Ahilik findet sich ein neunstufiges System:

• Jüngling, kräftiger Kerl

• Gehilfe

• Lehrling

• Geselle

• Meister

• Mitglied der Ahilik Gemeinschaft

• Ordensangehöriger, der das Recht zur Unterweisung erhalten hat

• Scheich; Oberhaupt einer bestimmte Gruppe

• eine Art Großmufti; Höchste der Gruppe

Obwohl die Organisation der Ahilik heutzutage nicht mehr existiert, so wird doch jedes Jahr beginnend mit dem zweiten Montag des Monats Oktober eine einwöchige Ahilik- Woche mit Feierlichkeiten offiziell eingeleitet.

Ein weiterer anatolischer Derwisch, der Licht auf die Menschheit brachte ist Mevlana Celaleddin Rumi. Mevlana wurde 1207 in Chorasan geboren und starb im Jahre 1273 in Konya. Seinen ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater Bahaeddin Veled, der zu Lebzeiten als "Sultan der Gelehrten" bezeichnet wurde. Mevlana, der umgeben von Mystizismus aufwuchs, begann nach dem Zusammentreffen mit dem Ahi Şems Tebrizi seine eigenen Gedanken zu formulieren. Sein Talent, seine mythischen Gedanken in Gedichtform darzulegen hat ihn auf der ganzen Welt bekannt gemacht.

Nach Mevlana ist das Wichtigste, um Gott zu erreichen, die Liebe. Eine Pflanze kann auch von einem Tier geliebt werden. Allerdings ist der Mensch die einzige Existenz, die sowohl mit dem Körper, mit dem Bewusstsein, mit den Gedanken als auch mit dem Gedächtnis lieben kann. Mevlana hebt die Liebe zu einer Frau hoch hervor. Denn jemand, der eine andere Person lieben kann, liebt auch sich selbst, die gesamte Menschheit, den Kosmos und Gott. Die schönste Liebe ist die "wahre Liebe", die dann beginnt, wenn man dieses Bewusstsein erreicht hat. Das Drehen der Mewlewi während der "sema" (Tanz bzw. Kultübung der Mewlewi- Derwische) bedeutet nichts anderes als die gesamte Welt durch Liebe zu vereinen, es ist das mithalten mit der kosmischen Drehung. Eine der Hände weist dabei gegen den Himmel, die andere auf die Erde, was bedeutet, dass die ganze Liebe von Gott der gesamten Welt geboten wird. Die Seele ist ein von Gott hervorsprühender Bestandteil, sie ist unsterblich. Die Seele befindet sich in ständiger Sehnsucht zur Rückkehr nach Gott. Der Ton der „ney“ (Rohrflöte) ist die leidende Stimme der Seele, die Stimme der Sehnsucht nach der Rückkehr zu ihrer Quelle, also zu Gott. Mevlana bringt mit den Worten "Ey tanrıyı arayan, Aradığın sensin..." (He du Gottessuchender, was du suchst, bist du selbst...) zum Ausdruck, dass der Kosmos das endlose Existenzgebiet Gottes ist und der Mensch, als Teil dieses Ganzen, in sich einen göttlichen Kern trägt.

"Komm, wer immer du auch bist, komm
Auch wenn du ein Gottloser, ein Feueranbeter
Mögest du auch tausendmal dein Gelöbnis brechen
Unser Derwischkloster ist kein Kloster der Hoffnungslosigkeit
Komm, wer immer du auch bist, komm"

Wie man aus den obigen Zeilen erkennen kann, glaubt Mevlana, dass alle Menschen Brüder und die Unterschiede und Klüfte zwischen den Religionen durch die göttliche Existenz vereinbar sind. Mevlana schenkt den Frauen große Bedeutung und verteidigt den Gedanken, das Frauen den Männern gleich sind, mit den Worten "Je mehr ihr wollt, dass sich eure Frauen bedecken, desto mehr wird sich das Bedürfnis verstärken, die Frau zu sehen. Wenn das Herz einer Frau, ebenso wie beim Mann, gut ist, dann wird sie – egal welche Verbote du aushängst – den Weg des Guten gehen. Wenn dein Herz schlecht ist, dann kannst du machen was du willst, doch du wirst sie nicht beeinflussen können." Die Schüler Mevlanas wurden als "Kitap-el Esrar" (Geheimschreiber, Geheimsekretäre) bezeichnet und es fanden sich unter seinen Schülern Muslimen, Juden, Christen, Griechen, Iraner, Araber, Armenier und Türken. Durch die Sammlung der Gedichte Mevlanas durch die Schüler unterschiedlichster Religionen und Nationen konnten sie bis in die Gegenwart erhalten bleiben.

 

Volksmedizin
 

Die Volksmedizin oder traditionelle Medizin entstand aus den angenommenen Verhaltensweisen und Beziehungsformen der ersten Menschen gegenüber Naturereignissen. Dabei hat Hexerei und Zauberei eine wichtige Rolle gespielt. In diesen Gesellschaften, in denen religiöser Glauben und Magie zunehmend wichtig wurden, wurde Gesundheit und Krankheit mit dem Eintreten eines Fremdstoffes in den menschlichen Körper und seinen bösen Auswirkungen erklärt. Die gefundenen Heil- und Hilfsmaßnahmen, um den Menschen davor zu schützen, wurden das Fundament für die Volksmedizin. Aus diesem Grunde sind in traditionellen Gesellschaften die Gedanken bezüglich Gesundheit und Krankheit als ein Teil der Volkskultur anzusehen. Das ist auch der Grund, warum sich Disziplinen wie Anthropologie, Ethnologie und Volkskunde mit diesem Thema auseinandersetzen. Die technische Analyse dieses Themas dagegen wird von der Medizin oder Pharmazie erläutert und erklärt.

Die Volksmedizin oder traditionelle Medizin weist zur modernen Medizin Unterschiede auf. Die traditionelle Medizin lebt unter dem Volk als ein Teil ihrer Kultur. Wenn in einer traditionellen Gesellschaft eine Person etwas über eine bestimmte Krankheit weiß, so wissen dies auch die anderen Gesellschaftsmitglieder. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. In einer solchen Gesellschaft lernt eine Person die Volksmedizin auf demselben Weg, wie es andere Kultureigenheiten lernt.

Die Volksmedizin ist mit den anderen Kulturelementen auf hervorragende Weise vereint. Ein an einer bestimmten Krankheit Erkrankter wird entweder gesund oder er stirbt. Wenn der Kranke geheilt wird, bedeutet dies, dass die Behandlung erfolgreich war und diese Behandlung weiterhin bei gleichen Krankheitsfällen angewendet wird. Sollte der Kranke sterben, so glaubt man eher daran, dass der Kranke selbst die Behandlung nicht durchgeführt hat oder dass er außerhalb der Behandlung geblieben ist, als dass die Behandlung ungeeignet war.

Der wichtigste Unterschied zwischen der modernen Medizin und der Volksmedizin liegt im Grund des Ausbruches der Krankheit. Während man in der modernen Medizin die Krankheit auf Krankheitserreger wie Virus zurückzuführen sucht, sucht die Volksmedizin, trotz Wissens über Krankheitserreger, den Grund für die Erkrankung in einigen magischen, außergewöhnlichen Ereignissen.

Die Methoden, die früher das Volk unterentwickelter oder so genannter Schwellenländer, oder Länder, die die moderne Medizin nicht nutzen konnten, wenn sie bei Erkrankung keine Möglichkeit für eine ärztliche Behandlung fanden oder auch aus Glaubensgründen keinen Arzt aufsuchen wollten, zur Diagnose und Behandlung der Krankheit entwickelten, ließ die Volksmedizin entstehen, die nach wie vor neben der modernen Medizin ihre Gültigkeit hat. Eine wichtige Rolle dabei spielt, dass diesbezüglich die Glaubensauffassungen keiner allzu großen Veränderung ausgesetzt wurden.

In der Türkei, besonders in traditionellen Regionen stößt man auf diese Form der medizinischen Anwendung noch relativ häufig. Die vom Volk als "kocakarı" Alte Hexe bezeichneten Personen, die ihre eigenen Behandlungsmethoden entwickeln, sind im eigentlichen Sinne Volksmediziner. Ihre zubereiteten Medikamente werden als "kocakarı ilacı" Medizin alter Hexen bezeichnet. Auch wenn diese Medikamente in ihrer Zubereitung oder Anwendung nicht im direkten Bezug zur Erkrankung stehen, so zeigen sie doch manche in der Form der Behandlung oder als Medikament positive Resultate. Diese Volksmediziner haben ihre Ausbildung von älteren erfahrenen Personen erhalten. Diese Medikamente werden aus natürlichen Stoffen wie Pflanzen, Tierprodukten oder Mineralen hergestellt. In den meisten Fällen werden die Kranken zu Hause behandelt, doch in manchen Fällen ist es notwendig, sie in eine unabhängige Einheit, eine Art Krankenhaus, das als "halk hastanesi" Volkskrankenhaus bezeichnet wird, einzuquartieren, wo die Behandlung einige Zeit fortgeführt wird.
Bei der Zubereitung dieser Medikamente nutzt man meist das Pflanzenvorkommen der Region. Diese als "şifalı bitkiler" Heilpflanzen bezeichneten Pflanzen finden in der Türkei eine rege Anwendung. Einige von diesen Heilpflanzen sind in der Gesellschaft wohlbekannt und finden einen breiten Einsatz, andere von ihnen sind nur den Volksmedizinern bekannt. An den pharmazeutischen Fakultäten der Universitäten werden zu diesen Heilpflanzen und Behandlungsmethoden verschiedenste Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse veröffentlicht werden.
Zwischen der Behandlung und Behandlungstechnik der modernen Medizin und der Volksmedizin gibt es durchaus auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel wurde das Schmerzmittel Aspirin durch die Weiterentwicklung von pflanzlichen Stoffen wie Chinin und Kokain, die in der Volksmedizin zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt wurden, entwickelt. Die Ergebnisse einiger Untersuchungen beweisen auch, dass einige der vom Volk eingesetzten Pflanzen bei bestimmten Krankheiten durchaus Heilwirkung haben. Was die Behandlungstechnik der Volksmedizin betrifft, so finden sich auch hier Ähnlichkeiten mit denen der modernen Medizin.

Im Allgemeinen kann man sagen, dass sich heutzutage die moderne Medizin und die Volksmedizin gegenseitig beeinflussen. Die moderne Medizin versucht durch diverse Untersuchungen die Gründe für die Erkrankung zu finden und sucht bei der Behandlung auch Unterstützung seitens der Volksmedizin, was bei den Behandlungsergebnissen zu besseren Resultaten führt. Auch die Volksmedizin hat Möglichkeiten gefunden, von diesen Entwicklungen zu profitieren. In diesem Rahmen werden häufig traditionelle Heilmittel der Volksmedizin jener der klassischen Medikamente bevorzugt. Im Gegensatz dazu vertraut das Volk der modernen Medizin nicht, wenn daran geglaubt wird, dass aufgrund abergläubischer Ereignisse wie "nazar değmesi" Treffen des bösen Blickes es zu Erkrankungen wie "cin çarpması" Schlaganfall kommt. Bei Asthma oder Herzerkrankungen nutzt das Volk sowohl die moderne Medizin als auch gleichzeitig die Volksmedizin. Bei Krebserkrankungen oder einer eine Operation erfordernden Erkrankung ziehen sich meist die Volksmediziner zurück und überlassen die Behandlung vollständig der modernen Medizin.

Als Ergebnis kann man sagen, dass in Regionen, die eine sehr traditionelle Struktur aufweisen, die Krankheitsauffassung des Volkes von der gelebten Kultur geprägt ist. Durchgeführte Untersuchungen zeigen auf, dass dabei neben dem Bildungsniveau auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen. Außerdem wird der Zugang zur modernen Medizin in jenen Gebieten erleichtert, in denen es gute Verbindungen und Beziehungen zur Stadt gibt. Diese Neigung zur modernen Medizin kann vor allem bei der jüngeren Bevölkerungsschicht beobachtet werden. Trotz alledem, ob gebildet oder nicht, ob reich oder arm, ein Teil des Volkes bevorzugt bei bestimmten Erkrankungen die Volksmedizin und dazugehörende Elemente, wie "nazar değmesi" Treffen des bösen Blickes, Wallfahrtsbesuche von Grabmälern und Türben oder spezielle Behandlungen bei Brüchen und Verrenkungen können nach wie vor häufig beobachtet werden.

Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass eine verstärkte Hinwendung zur modernen Medizin sowie eine leichte Abwendung von der Volksmedizin verzeichnet werden kann, wobei diese Hinwendung abhängend von sozi- kulturellen und ökonomischen Besonderheiten der Region schneller oder langsamer vor sich geht.

 

Volksmedikamente

Asthma

Vierzig Tage lang werden rohe Taubeneier auf nüchternen Magen getrunken.
Atemnot

a) Das Wasser gekochter Brennnesseln wird jeden Tag wie Tee getrunken.

b) Schwarzer Rettich wird ausgehöhlt und mit Honig gefüllt. Am Boden des Rettichs wird ein kleines Loch gebohrt und auf einen Teller gestellt. Eine Nacht wird gewartet, bis der Honig durch die Öffnung abgetropft ist, danach wird der Honig gegessen.

c) Die Samenkapsel von Nadelbäumen wird gekocht, das Wasser wie Tee getrunken.

Bienenstich

a) Auf die Stelle des Bieneneinstiches wird Eis gelegt; ist kein Eis vorhanden benetzt man die Stelle mit kaltem Wasser oder man schmiert Schlamm darauf.

b) Ein Bund Petersilie wird zermalt und auf die Stelle des Bieneneinstiches gebunden.

c) Auf die Stelle des Bieneneinstiches wird zermalter Knoblauch gestrichen.

Bisse giftiger Tiere

Der Kopf von Zündhölzern wird abgekratzt und auf die Bissstelle gestrichen.

Bronchitis


a) Samen der Flachspflanze werden mit Kandiszucker vermischt und zermalmt. Diese Mischung wird löffelweise gegessen.

b) Eine Scheibe Brot wird geröstet, in Essig getaucht und auf die Brust gelegt.

Durchfall

a) In einem Glas Limonade wird ein Aspirin aufgelöst und getrunken.

b) Ein Kaffeelöffel roher Kaffee wird mit Zitronensaft vermischt getrunken.

c) Ein Teeglas Yoghurt wird mit einem Teeglas Karbonat vermischt und gegessen.

Ekzeme

a)
Über Feuer wird Auberginenpulver mit Henna vermischt. Die Mischung wird auf das Ekzem gestrichen und verbunden.

b) Pfirsichblätter werden gekocht und das Wasser zehn Tage lang wie Tee getrunken.

c) Igelfleisch wird gegessen

d) Der Samen von schwarzem Holunder wird geschluckt

Fiebersenkung

a) Ein in Essig getränktes Tuch wird auf die Stirn, den Nacken, Hände und Füße und Körper gelegt. Dieser Vorgang wird solange wiederholt, bis das Fieber sinkt.

b) In den Saft einer ausgepressten Zitrone wird ein Aspirin aufgelöst und auf einige Stellen des Erkrankten, wie z.B. die Stirn, gestrichen.

c) Es wird eine Mischung aus Alkohol, Aspirin und ein bis zwei Tropfen Olivenöl hergestellt, die auf die Gelenke des Körpers gestrichen wird.

Fußschmerzen


Steinsalz wird in heißem Wasser aufgelöst und die Füße werden darin zehn Minuten lang gebadet.

Gelbsucht


Die Stirn oder die Brust des Erkrankten wird mit einem Rasiermesser eingeritzt.

Gerstenkorn
 
Auf das Gerstenkorn wird Knoblauch gestrichen.

Grippe


Pfefferminztee oder Lindenblütentee mit Zitrone wird getrunken.

Hämorrhoiden


a) Zermalmter Knoblauch wird auf die Stelle gestrichen. Dieser Vorgang wird jeden Morgen wiederholt.

b) Der mittlere Teil wilder Rosen wird in Wasser gekocht, das Rosenwasser wie Tee getrunken.

Haare

Zur Förderung des Haarwuchses wird im Frühjahr durch Abbrechen von Weinrebenzweigen die dabei von den Zweigen abtropfende Flüssigkeit gesammelt, mit dieser Flüssigkeit werden die Haare gewaschen.

Hundebiss

Auf die betroffene Stelle wird Brothefe gebunden.

Husten

a) Ein Löffel Honig wird mit einem Löffel Zitronensaft vermischt und getrunken. Diese Behandlung erfolgt einige Tage, wobei die Mischung morgens auf nüchternen Magen getrunken werden muss.

b) Ein Apfel, Lindenblüten und die Schale einer Zitrone werden gemeinsam gekocht. Das Wasser wird morgens auf nüchternen Magen getrunken.

c) Petersilie wird roh gegessen.

Krebs

Brennnesseln werden gekocht (im Sommer frische, im Winter getrocknete Brennnesseln), das Wasser wird morgens auf nüchternen Magen getrunken.

Knochenschwund

Fischöl wird auf die betroffenen Stellen gestrichen.

Kopfschmerzen

a) Eine rohe Kartoffel wird in Scheiben geschnitten. Auf die Scheiben wird gemahlener Kaffee gestreut, auf die Stirn gelegt und mit einem Tuch festgebunden.

b) Zitrone wird in Scheiben geschnitten und mit einem Tuch auf die Stirn gebunden.

c) Stroh wird mit Henna gemischt und auf die Stirn gebunden und erst nach einigen Stunden wieder abgenommen.

Magenschmerzen

a) Honig wird mit Milch vermischt und getrunken

b) Alantwurzel (Wurzel des Helenenkrautes) wird in Wasser gekocht, das Wasser wird wie Tee getrunken.

c) Auf nüchternen Magen wird Sesam- Helva gegessen

d) Warzenkrautblätter werden gekaut und geschluckt

Malaria

Die Pflanze Eupatorium (Kunigundenkraut) wird mit Wasser gekocht, der Sud wird wie Tee getrunken.

Mandelentzündung

Watte wird in Spiritus oder Alkohol getränkt, schwarzer Pfeffer wird darauf gestreut und um den Hals gebunden.

Mumps


Rotes Helva (Süßspeise) wird gegessen. Kalk wird auf die Stelle gestrichen.

Nagelgeschwür

Okraschoten werden in Milch gekocht und auf den Finger gestrichen.

Nasenbluten

Eierschalen werden verbrannt bis Asche entsteht. Diese Asche wird bei Nasenbluten durch Einatmen in die Nase gezogen.

Nierenstein

a) Das Wasser gekochter Mispelblätter wird getrunken und zwar so lange, bis der Stein abgeht.

b) Jeden Morgen wird das Wasser gekochter Petersilie oder das Wasser gestandenen Yoghurts getrunken.

Ohrenschmerzen

Ein Tropfen Wasser gekochten Lauches wird in das Ohr getropft.

Rheumatismus

a)
Wilde Kastanie wird gemeinsam mit Kandiszucker zermalmt und gegessen.

b) In eine große Wanne wird ein Kanister Gerste gegeben und gekocht. Danach wird gewartet, dass das Wasser etwas abkühlt. Der Erkrankte wird für eine Stunde in das Wasser gesetzt. Dieser Vorgang wird einige Tage lang wiederholt.

c) Der Erkrankte wird für eine Stunde bis zum Hals in Mist von Hornvieh eingegraben.

d) Selleriewurzeln werden gerieben, ein Glas des entstehenden Saftes wird getrunken.

Rückenschmerzen


Die schmerzenden Stellen werden mit Honig bestrichen, darüber wird roter oder schwarzer Pfeffer gestreut und mit einer durchlöcherten Zeitung abgedeckt. Darüber wird ein Handtuch gelegt. Dieser Verband bleibt die ganze Nacht darauf. Diese Prozedur wird mehrere Nächte wiederholt.

Schmerzen

a) Wirsingkohlblätter werden gekocht und auf die schmerzenden Stellen gelegt. Dieser Vorgang wird oftmals wiederholt.

b) Samen der Flachsblume wird solange gekocht, bis es zu Brei wird. Diesem Brei wird Henn und Naphthaöl (rohes Erdöl) beigegeben und die Mischung wird auf die schmerzenden Stellen gestrichen. Dieser Vorgang wird mehrmals pro Tag mehrere Tage lang wiederholt.

c) Trockener Tabak wird klein gerieben und mit einer kleinen Menge Rakı vermischt, so dass ein cremeförmiger Brei entsteht. Dieser wird wie eine Wundsalbe auf die schmerzenden Stellen gestrichen.

d) Feiner Sand wird auf Feuer geröstet, darunter mischt man feine Sonnenblumenkerne und geriebene Oliven. Diese Mischung wird heiß auf die Schmerzstellen aufgetragen und mit einem Tuch verbunden. Dieser Vorgang wird drei bis vier Tage lang wiederholt.

Verstauchung

Zwiebel wird gemeinsam mit Salz und Oliven zermalmt. Diese Mischung wird auf den Fuß gestrichen und verbunden.
Wunden und Abszesse

a) Über die wunden Stellen wird großer Wegerich gebunden. Es können auch Tomaten oder Kohlblätter verwendet werden.

b) In eine Zwiebel wird ein Stück Seife sowie etwas Ammoniumchlorid gegeben und gekocht. Nach leichter Abkühlung wird dies auf die wunde Stelle gebunden.

Wundsein

Schilf wird verbrannt, dessen Asche auf die wunde Stelle gestrichen.

 

Bauernkalender und Volksmeteorologie
 

Der Bauernkalender ist ein kulturelles Erbe irgendeiner Region, aufgebaut auf die Erfahrungen und Beobachtungen von Naturereignissen in Verbindung mit gesellschaftlichen Einrichtungen und Vorkommnissen. Er stellt eine systematische Theorie bezüglich Zeit und Leben dar, der an religiöse, geschichtliche, Brauchtums-, erzieherische, abergläubische, rechtliche, landwirtschaftliche, politische und wirtschaftliche Verbindungen oder Vorkommnisse erinnert. Im Gegensatz zu den bekannten üblichen Kalendern, unterteilt dieser regionale Bauernkalender das Jahr in einer anderen Art und Weise und bezeichnet die Wochentage anders als üblich, wobei manchen Tagen oder manchen Naturereignissen eine gute, manchen eine schlechte Bedeutung angelastet wird.
Weit verbreitetem Glauben zufolge, führt das Nicht-Befolgen des Bauernkalenders, der ein Produkt langjähriger Erfahrung und Wissensansammlung ist, oder ein den Richtlinien Entgegengesetztes Verhalten zu großem individuellen Schaden. Denn der Bauernkalender stellt das Produkt natürlicher und kultureller Gegebenheiten dar. Die zeitlichen Bestimmungen oder Zeiteinteilungen erfolgt in manchen dieser Bauernkalender gebunden an die sich regelmäßig wiederholenden Naturereignisse. Andere wiederum weisen stärker auf religiöse Festlichkeiten, gesellschaftliche Beziehungen zu einer anderen Gruppe, die die Gemeinschaft beeinflusst, Erneuerungen für die Gesellschaft, Veränderung in der Art und Weise der Produktionsform, Tod einer angesehenen Person etc. hin und gewinnen so einen eigenen Charakter.

Bei der Erstellung des Bauernkalenders spielen verschiedenste Faktoren eine Rolle, wobei die Produktionsart und damit verbunden die Gesellschaftsstruktur, deren Elemente oder Organisationen hervorgehoben werden können. Den Rahmen des Kalenders bilden meist die Gesellschaftsstruktur prägende wirtschaftliche Betätigung, die sich um die Produktionselemente anhäufenden Praktiken, sowie diesbezügliche Fakten und Glaubensauffassungen. Grundlegend stellt bei der Gestaltung des Bauernkalenders die wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft prägende Produktionsform das herausragende Element dar.

In der großteils aus Muslimen bestehenden Türkei werden heutzutage zwei Kalender verwendet:

 
1. "Kameri takvim" Mondkalender: Dieser teilt das Jahr in 12 Monate mit je 29 / 30 Tagen und 354 / 355 Tagen pro Jahr.

2. "Şemsi Takvim" Sonnenkalender: Dieser beruht auf der Drehung der Erde um der Sonne während 365 / 366 Tagen, der auch von den westlichen Ländern verwendet wird.

Die Tage traditioneller Volksgebräuche spiegeln sich in beiden Kalendern wider, wobei religiöse Feiertage im Mondkalender, andere Feiertage oder Zeremonien im Sonnenkalender berücksichtigt werden.

Neben der offiziellen Monatsbezeichnung werden in diesen Kalendern die Monate ebenfalls anders bezeichnet. So wird in manchen Regionen der Monat Februar aufgrund seiner Kürze als “Gücük (küçük)” (klein) bezeichnet. In manchen Kalendern werden die Monate, in denen Tätigkeiten bezüglich Landwirtschaft, Viehzucht oder Obstanbau vorrangig sind, mit dementsprechenden eigenen Namen, die kürzere oder längere Perioden darstellen, gekennzeichnet. So ist das “Koç Ayı” (Widder-Monat) das Monat, in dem die Deckung der Schafe erfolgt. “Orak ayı” (Ernte-Monat) hingegen stellt das Monat der Ernte dar. Im so genannten “Kiraz ayı” (Kirschen-Monat) werden die Kirschen reif, etc.

In den meisten der Bauernkalender wird das Jahr in zwei Teile unterteilt, nämlich “kasım” (Winterbeginn) und “hıdrellez” (Sommerbeginn). “Kasım” beginnt in Übereinstimmung mit dem offiziellen Kalender Anfang des Monats November und dauert bis “hıdrellez”, also bis zum Monat Mai. “Kasım” stellt demnach die Jahreszeit Winter dar. “Hıdrellez” hingegen beginnt am 6. Mai, stellt die Sommer-Jahreszeit dar und dauert bis November, also “kasım”. Die Winterperiode wird wiederum in drei Monate, die jeweils 45 Tage dauern, unterteilt: “Kasım”, “Zemheri”, “Hamsin”. Die Winterperiode dauert insgesamt 180 Tage, wobei die ersten 135 Tage, also die Monate “kasım”, “zemheri”, “hamsin” als “sayılı” oder “hesaplı”, also als zeitlich festliegend bezeichnet werden. Diese Periode ist die Zeit des strengsten Winters und ist so gerechnet, damit die Menschen entsprechende Maßnahmen treffen können. Es verbleiben noch 45 Tage, die die Wintermonate auslaufen lassen. Diese beginnen am 21. März und enden am 6. Mai. In Anatolien wird diese Periode mit unterschiedlichen Namen wie “dokuzun dokuzu”, “April beşi”, “leylek kışı” oder “oğlak kışı” bezeichnet. In den Bevölkerungskreisen, die in der Landwirtschaft und Viehzucht tätig sind, trägt dieser Bauernkalender eine lebenswichtige Bedeutung. Um die Tiere und Pflanzen vor klirrender Kälte richtig schützen zu können, ist es notwendig, die “sayılı”- Periode, also richtige Winterperiode, zu kennen.

In Gesellschaften, in denen Technik und Technologie noch nicht so weit fortgeschritten sind, werden aufgrund Jahrhunderte langer Erfahrungen und Annahmen die Geschehnisse der Atmosphäre vorausgesehen. Der Grad des Eintreffens der Prognosen liegt dabei sehr hoch. In traditionell strukturierten Gesellschaften, deren Leben an natürliche Ereignisse stark gebunden ist, wird der Erfahrung und der Wissensansammlung bezüglich der Wettervorhersage innerhalb der gesamten Kultur ein großer Stellenwert beigemessen. Zu wissen bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, wie die Wetterlage sein wird, bevor man auf Fischfang geht oder bevor man den Almauftrieb durchführt, ist wichtigste Voraussetzung.

Für Landwirtschaftsgesellschaften ist das Wissen über die Stellung des Mondes ebenso von großer Wichtigkeit. Zum Beispiel, wenn der Mond in der Form des Halbmondes ist und sein offener Teil nach oben blickt, wird angenommen, dass es in kürzerer Zeit beginnt zu regnen. Die Zeit der Saat wird ebenfalls mit Hilfe der Stellung des Mondes bestimmt. Der erste Zustand des neu aufgehenden Mondes wird als “ayın aydını” bezeichnet, sein einige Zeit späterer Zustand als “ayın garangısı”. In den ersten Tagen des neuen Mondes wird keine Saat ausgesät, man wartet einige Tage ab.

Für den Menschen in den ländlichen Regionen ist die Wettervorhersage für die Versorgung ihrer Tiere und Pflanzen von großer Wichtigkeit. Zum Beispiel wird angenommen, dass der Winter sehr streng und hart werden wird, wenn die Blätter der Pappelbäume an der Spitze beginnend abfallen. Ein harter Winter wird ebenfalls erwartet, wenn es zu viele Zapfen von Nadelbäumen gibt. Auch gibt das Verhalten der Tiere Aufschluss über das zu erwartende Wetter. Sollten zum Beispiel Schafe ihren Kopf Richtung Mekka drehend schlafen, so wird angenommen, dass es innerhalb kürzerer Zeit Regen geben wird.
Da das Leben negativ beeinflusst wird, wenn der Regen in der entsprechenden Jahreszeit ausbleibt, wurden entsprechende Zeremonien entwickelt, die den Regen herbeirufen sollen. Diese Regen-Zeremonien sind eine der reichhaltigen Schätze unserer Volkskultur. Zwei Arten von Regen-Zeremonien können dabei unterschieden werden:

- “Regengebete”, die von Erwachsenen in Begleitung von verschiedenen Praktiken ausgeübt werden
 
- Spielerische Zeremonien, an denen auch Kinder teilnehmen

Die Regengebete der Erwachsenen werden im Allgemeinen auf offenem Gebiet, zum Beispiel am Friedhof oder einer Türbe sowie unter Anleitung eines Geistlichen durchgeführt. Der Geistliche verliest die Gebete, die Anwesenden nehmen daran teil und am Ende der Gebete werden Opfertiere geschlachtet, die Speise gemeinsam verzehrt. Bestimmte Anzahl von Steinen werden gesammelt und auf sie Gebete gesprochen, danach werden die Steine in Wasser geworfen. Nachdem es genügend geregnet hat, werden diese Steine wieder aus dem Wasser genommen.
Bei den Regengebeten, an denen Kinder teilnehmen, versammeln sich die Kinder und wandern von einem Haus zum anderen. Von den Hausbewohnern werden Butter, Mehl, Zucker etc. gesammelt und daraus Speisen zubereitet. Während dieser Veranstaltung werden verschiedene Spiele und Vergnügungen inszeniert.

 

Bauernkalender
 

Der Bauernkalender ist ein kulturelles Erbe irgendeiner Region. Aufgebaut auf die Erfahrungen und Beobachtungen von Naturereignissen in Verbindung mit gesellschaftlichen Einrichtungen und Vorkommnissen stellt er eine systematische Theorie bezüglich Zeit und Leben dar, der an religiöse, geschichtliche, Brauchtums-, erzieherische, abergläubische, rechtliche, landwirtschaftliche, politische und wirtschaftliche Verbindungen oder Vorkommnisse erinnert.
Im Gegensatz zu den bekannten üblichen Kalendern, unterteilt dieser regionale Bauernkalender das Jahr in einer anderen Art und Weise und bezeichnet die Wochentage anders als üblich, wobei manchen Tagen eine gute, manchen eine schlechte Bedeutung angelastet wird. Weit verbreitetem Glauben zufolge, gibt es in diesem Bauernkalender in den Jahreszeiten die das Jahr unterteilt, in den Monaten, Wochen, Tagen, Nächten oder anderen bestimmte Zeiten Kräfte, die es notwendig machen sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, bestimmte Termine nicht zu versäumen und sich bestimmten Regeln anzupassen. In manchen dieser Bauernkalender erfolgt die Zeiteneinteilung sehr offen und regelmäßig durch immer wieder auftretende Naturereignisse. Andere wiederum weisen stärker auf religiöse Festlichkeiten, gesellschaftliche Beziehungen zu einer anderen Gruppe die die Gemeinschaft beeinflusst, Erneuerungen für die Gesellschaft, Veränderung in der Art und Weise der Produktionsform, Tod einer angesehenen Person etc. hin und gewinnen so einen eigenen Charakter.

Bei der Erstellung von Bauernkalendern spielen viele Einflüsse eine Rolle.

Geographische Einflüsse:

Gebirge, Flüsse, Täler, Flora und Fauna, dort ständig lebende Tiere und Lebewesen oder Zug- / Wandertiere beeinflussen die Erstellung des Bauernkalenders.

Klimatische Bedingungen – Jahreszeiten:

In der Türkei gibt es zahllose Beispiele für die Widerspiegelung klimatischer Verhältnisse und der Jahreszeiten in den verschiedenen Bauernkalendern. Beispiele dafür sind: „Zemheri“ strenger Winter, 40 Tage vom 22. Dezember bis zum 30. Januar; "Hamsin" 50 tägige Winterzeit vom 1. Februar bis 22. März, "Eyyam-ı Bahur" Hundstage; "Cemreler" Wärmeanstieg vom 20. Februar bis 6. März; in drei Abschnitten: zuerst in der Luft, dann im Wasser, zuletzt im Boden; "Mart Dokusu" Frühjahrsäquinoktialsturm, gegen 21. März; "Kocakarı soğukları" einwöchige Kälteperiode vom 11. – 18. März; "Hıdrellez" Sommeranfang am 6. Mai; "Ekim zamanı" Zeit der Saat; "Hasat zamanı" Erntezeit; "Bağbozumu" Weinlese; ....

Naturereignisse:

Auch Ereignisse wie Epidemien und Seuchen, an denen viele Menschen und Tiere gestorben sind, Überschwemmungen, Trockenperioden, Erdbeben wie z.B. von Erzincan und Gediz etc. spiegeln sich in diesen Kalendern wieder.

Himmelsereignisse:

Die Formen des Mondes, Sterne, Sternansammlungen, Sternschnuppen nehmen in manchen Bauernkalendern Platz ein. Glaubensauffassungen und spezifische Praktiken in den Regionen bezüglich des Polarsternes, des Siebengestirnes, Sonnen- oder Mondfinsternis sind diesbezügliche Beispiele.

Religiöse Einflüsse:

In den Bauernkalender gehen religiöse Ereignisse, deren Wurzeln im Islam zu finden sind, wie z. B. "kandil gecesi" (best. Religiöse Feiernächte), heilige Monate, aber auch Pilgerfahrten und Ereignisse die Segen bringen, ein.

Wirtschaftliche Einflüsse:


Die wirtschaftliche Beschäftigung die die gesellschaftliche Struktur bestimmt, Praktiken die sich um die Produktion und Anbau drehen, die diesbezüglichen Gebräuche und Glaubensauffassungen bilden das Grundgerüst des Bauernkalenders. Das beste Beispiel dafür ist wohl dass in manchen Regionen die Monate unterschiedlich bezeichnet werden. "Döl tökümü" Besamung – März, "Cift ayı" Paarungsmonat – April, "Göç ayı" Wanderungsmonat – Mai, "Kiraz ayı" Kirschenmonat – Juni.

Gesellschaftliche Ereignisse:

Revolutionen, Parteiführungen, Sieger und Besiegte, Wanderungen und ähnliche gesellschaftliche Ereignisse finden ebenfalls ihren Platz in den Bauernkalendern.

Bezeichnung von Tagen, Wochen und Monaten

In dem Großteil der muslimischen Türkei werden heutzutage zwei Kalender verwendet:

1.
"Kameri takvim" Mondkalender: Dieser teilt das Jahr in 12 Monate mit je 29 / 30 Tagen und 354 / 355 Tagen pro Jahr.

2. "Şemsi Takvim" Sonnenkalender: Dieser beruht auf der Drehung der Erde um der Sonne während 365 / 366 Tagen, der auch von den westlichen Ländern verwendet wird.

Die Tage traditioneller Volksgebräuche spiegeln sich in beiden Kalendern wider, wobei religiöse Feiertage im Mondkalender, andere Feiertage oder Zeremonien im Sonnenkalender berücksichtigt werden.

Wichtige Ereignisse der Vergangenheit, die einschneidende Veränderungen für die Gesellschaft gebracht haben, werden dabei ebenfalls aufgenommen: Mobilisierung (1914 – 1918, Erster Weltkrieg), 93er Schlacht (1876), Balkankrieg (1912), Erdbeben von Erzincan (1939), ...

Tag und Nacht bezeichnet die Zeitspannen zwischen Sonnenauf- und

-untergang. Der Unterschied zum Westen besteht darin, dass der Tag mit dem Sonnenuntergang am Abend beginnt: z. B. beginnt der Freitag nach dem Sonnenuntergang am Abend des Donnerstag und dauert bis zum Sonnenuntergang des Freitagabend.

Neben den offiziellen Bezeichnungen der Wochentage gibt es auch in manchen Gebieten und Provinzstädten besondere Bezeichnungen für diese. So wird z.B. im Landkreis Çal der Provinz Denizli "perşembe" Donnerstag als "cuma akşamı" Abend vor dem Freitag; Anm.: bis 1935 war der Freitag offizieller Feiertag), "pazar" Sonntag als "gireği" bewölkt, "çarşamba" Mittwoch als "ışıklı" beleuchtet bezeichnet. Die Verwendung solch unterschiedlicher Bezeichnungen in diesem Gebiet, in dem der Handel eine wichtige Rolle spielt, ist auf die Ortsbezeichnungen an denen ein Markt abgehalten wird zurückzuführen.

In einer Gesellschaft die auf Landwirtschaft und Viehhaltung ausgerichtet ist, wird der Kalender so gestaltet dass die Jahreszeiten und über die Jahre gesehen die Unterteilung der Jahreszeiten so angelegt sind dass diese jeweils mit den gleichen Wetterbedingungen übereinstimmen. In dieser Hinsicht ist der Volkskalender dem Sonnenkalender sehr ähnlich; sie basieren auf dem gleichen Prinzip. Nur in der Bezeichnung und Teilung der Monate können Unterschiede gesehen werden, die auf verschiedene Einflüsse zurückzuführen sind. Z.B. besteht im Landkreis Çal der Provinz Denizli jede Jahreszeit aus eineinhalb Monaten, demzufolge wird das Jahr in acht Monate untergliedert.

Frühling: "Mart" März - 22. März / 5. Mai

"Hıdrellez" Sommeranfang - 5. Mai / 21. Juni

Sommer: "Gündönümü" Periodische Wiederkehr eines best. Tages - 22. Juni / 13. August

"Ağustos" August - 14. August / 21. September

Herbst: "Güz" Herbst - 22. September / 5. November

"Kasım" November - 6. November / 21. Dezember

Winter: "Zemheri" Strenger Winter - 22. Dezember / 31. Januar

"Karakış" Tiefster Winter - 1. Februar / 21. März

In Giresun werden die Monate wiederum anders bezeichnet:

"Zemheri" Ocak/Januar, "Gücük" Şubat/Februar, "Mart" Mart/März, "Abrul" Nisan/April, "Mayıs" Mayıs/Mai, "Kiraz" Haziran/Juni, "Orak" Temmuz/Juli, "Ağustos" Ağustos/August, "Haç Ayı" Eylül/September, "Avara" Ekim/Oktober, "Koç Ayı" Kasım/November, "Karakış" Aralık/Dezember. In den meisten Bauernkalendern wird einer oder ein Teil der Wintermonate als "Karakış" tiefer, strenger Winter bezeichnet und beinhaltet damit die dunklen, negativen Bedeutungen des Wortes "kara" dunkel, schwarz. Diese Periode bezeichnet jene Zeit, in der der Bauer keiner Arbeit nachgehen kann und gleichzeitig mit vielen Problemen beladen ist. Die Periode, die als "Avara" untätig, träg bezeichnet wird, ist jene Zeit, in der die Feldarbeit beendet wurde und der Bauer sozusagen viel freie Zeit hat.

In vielen regionalen Kalendern wurde der Monat Februar durch die Tatsache seiner Kürze im Vergleich zu den anderen Monaten mit dem Namen "Gücük" kurz bezeichnet. Die Monatsnamen wurden auch von Tätigkeiten des Bauern bezüglich Saat, Tier- und Obsthaltung beeinflusst: "Koç Ayı" November Monat, in dem die Deckung der Schafe erfolgt; ("Koç" = Schafbock), "Orak ayı" Monat der Getreideernte, "Kiraz ayı" Monat der Kirschenernte, ...

In den anatolischen Kalendern werden mit Redensarten wie "Koç katımını" Deckung der Schafe, "döl dökümü" Samenerguss, Befruchtung, "kuzu ayı" Monat des Schäfchens (in Kars für den Monat März verwendet) bestimmte Untergliederung der Jahreszeiten angezeigt. Diese Zeitperioden stimmen nicht unbedingt mit den Perioden und Monaten des offiziellen Kalenders überein.
 
Die gebräuchlichste Regel das Jahr in Jahreszeiten zu unterteilen: Das Jahr wird in zwei Teile, nämlich ‚"kasım" November= Winteranfang und "hıdrellez" Sommeranfang, eingeteilt. "Kasım" beginnt in Übereinstimmung mit dem offiziellen Kalender am Anfang des Monats November und dauert bis zum 6. Mai. "Hıdrellez" beginnt am 6. Mai und dauert bis zum November.

In den östlichen Regionen Anatoliens, aber auch in anderen Regionen, besonders in den alewitischen Gesellschaften beginnt das Jahr mit dem "nevruz", eigentliches persisches Neujahrsfest am 22. März, nach altem Kalender am 9. März. Dieses Datum wurde in vielen Kulturen durch den Beginn des Frühlings als Jahresbeginn gewertet. In der ostanatolischen Tradition glaubt man teilweise daran, dass der Tag des "Nevruz" jener ist, an dem der Prophet Noah von seiner Arche gestiegen und mit seinem Gefolge vom Gipfel des Berges Ağrı in die Sürmeli Schlucht hinab gestiegen ist. Nach dem Glauben der "Narlıdere Tahtacılar" Bez. für Alauiten in Narlıdere, ist Nevruz jener Tag, an dem der Heilige Ali geboren wurde. Mit dem "Nevruz" beginnen die Sommertage. Gott habe die Sommertage lang geschaffen, um "nicht zu Ende gehende Arbeiten" fertig stellen zu können, die Wintertage kurz geschaffen, um mit dem "nicht ausreichenden Essen" auszukommen. Außerdem glauben die "Tahtacılar", dass der Heilige Ali an einem Freitag geboren wurde.

In vielen Gebieten Anatoliens werden manche Tage, vom Winter zum Sommer hin verlaufend und je ein Monat überspringend, mit Zahlen bezeichnet: "dokuza" neuner, "yediye" siebener, "beşe" fünfer, "üçe" dreier, "bire" einer.

In Gaziantep bezeichnen diese Tage, beginnend mit neun, folgenderweise die Periode: "yediye" Ende Januar, die ersten drei Wochen des Februars, "beşe" Ende Februars und drei Wochen des März, "üçe" Ende März und die erste Woche des April, "bire" Ende April und die erste Woche des Mai. Diese Redensweisen und Bezeichnungen mit Zahlen, also "dokuza", "yediye", .... zeigen, wie viele Tage es noch bis zum neuen Monatsanfang sind. Diese Tradition des türkischen Bauernkalenders wurde in einem im Jahre 1551 geschriebenen "Arabisch / Türkisch" Wörterbuch des Osmanischen Reiches festgestellt. Darin wurde für den Monat Dezember die Redewendung "dokuza" verwendet.

Die Unterteilung des Jahres steht auch in Beziehung zu den Sternen. Der Plejadenstern ist ab Novemberbeginn am Himmel sichtbar, ab dem Mai "Hıdrellez" wieder nicht mehr.

Ein anderes Beispiel für die regionale Bezeichnung von Wochentagen: Dorf Dişkaya bei Uşak (deutsch) (türkisch) (regionale Bezeichnung)

Sonntag: (Pazar) Girey

Montag: (Pazartesi) Gula Bazarı (Markttag von Gula)

Dienstag: (Salı) Gula Bazar Ertesi (Tag nach dem Markt von Gula)

Mittwoch: (Çarşamba) Eşme Bazarı (Markttag von Eşme)

Donnerstag: (Perşembe) Cumaşamı (Abend vor Freitag)

Freitag: (Cuma) Cuma

Samstag: (Cumartesi) Cumartesi

 

Volksökonomie
 

Eines der wichtigsten Elemente der Volkskultur ist die Volksökonomie, die als wichtigstes Kennzeichen der kulturellen Struktur gilt.
In den ländlichen Gebieten des anatolischen Lebens ist das wirtschaftliche Leben großteils auf Landwirtschaft und Tierhaltung ausgerichtet.
Alle Anstrengungen und Unternehmungen, die durchgeführt werden, um den Lebensunterhalt des Volkes zu sichern, wird als Volksökonomie bezeichnet. Die Volksökonomie beeinflusst das Leben, angefangen von der Volksarchitektur bis hin zum religiösen oder abergläubischen Leben und wirkt insofern als bestimmender Faktor auf die kulturelle Struktur.
 
Als Ausläufer der Volksökonomie können Viehhaltung, Imkerei, Almbetrieb, Arbeit in der Fremde, Jagd, Handwerk und Gewerbe bezeichnet werden.
Mit untenstehenden Beispielen wird aufgezeigt, in welcher Weise sich die Volksökonomie in Glaubensauffassungen widerspiegelt:

- Im Monat April wird im Garten der Samen gesät. Ungefähr einen Monat vor dieser Tätigkeit wird jeweils ein Samenkorn der Samen, die sich im Haus befinden, ausgelegt; somit in diesem Jahr eine reiche Ernte erzielt werden wird.

- Bevor der Samen im Garten gesät wurde, gibt man den Nachbarn keinen Samen; damit der Wohlstand des Hauses nicht negativ beeinflusst wird.

- Zuerst wird im Garten der Samen eines süßen Lebensmittels gesät, Samen von Pfeffer etc. wird nicht gesät; damit der Geschmack des Mundes nicht verloren geht.

- Eine Frau, die ihre Menstruation hat, darf keinen Samen streuen, keine Pflanze setzen; damit der Ertrag des Produktes nicht negativ beeinflusst wird.
 
- Im Monat Mai wird den Kühen ein farbiges Band an den Schwanz gebunden; damit die Kühe genügend Milch haben.

- Wenn es Hagel gibt, gehen die Älteren vor das Haus: gemeinsam mit dem Donnern des Himmels singen sie laut mit den Händen schwingend:
 "Möge meine Butter schnell reif werden".

- Drei Tage vor Feiertagen und während der Feiertage werden keine Äste und Zweige geschnitten, da man sagt "die Äste verrichten ihre Gebete".

- In der Neujahrsnacht wird ein Ochse in das Haus gebracht. Wenn der Ochse das Haus mit dem rechten Fuß zuerst betritt, so bedeutet dies Segen für das kommende Jahr.

- In der Neujahrsnacht schleudert die Hausfrau einzelne Bohnen an die Wände des Hauses; damit im Hause Wohlstand und Segen herrsche.
 
- Es werden Regengebete verrichtet, um den Regen herbei zu bitten und damit den Ertrag der Ernte zu erhöhen. In Gebieten, in denen es sehr viel regnet, werden auch Regengebete zum Stillstand des Regens ausgesprochen.

- Am Morgen des neuen Jahres wird aus der Dachrinne Wasser geholt. Wer zuerst dieses Wasser bringt, wird reich werden.

- Vier bis fünf Tage vor Neujahr wird die Mühle hergerichtet und die Mehlgefäße gefüllt in dem Glauben, wenn man mit vollen Gefäßen das neue Jahr beginnt, werden diese das ganze Jahr über nicht ausgehen.

 

Volksmathematik
 

Die Anwendung von selbst entwickelten Maβeinheiten, die das anatolische Volk im Alltag, z.B. beim Einkauf, Tausch Angelegenheiten, Rechnung erstellen etc. einsetzt, wird als Volksmathematik bezeichnet.

Dabei werden vom Volk vorwiegend Gegenstände, die in der Hand gehalten werden können, als Maßeinheiten herangezogen.
Beispiele:

- "bir kalbur" - großes Sieb für Getreide Ungefähr 5 – 6 kg)

- "bir yarım" - ein Halbes 16 kg

- "bir şinik" - altes Getreidemaß Ungefähr 10 Liter

- "bir okka" - türk. Gewicht = 400 dirhem 1283 g

- "iki tas" - Schale zwei Tassen voll

- "bir tekne" - Back- oder Waschtrog einen Back- oder

Waschtrog voll

- "bir maşraba" - Metallkrug z. Wasserschöpfen einen Metallkrug voll